Rufus, Gré und das Hähnchen

Willem Frederik Hermans: »Unter Professoren«

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 3 Min.

Der rückseitige Umschlagtext ist überschrieben: EIN FEST DER NIEDERTRACHT. Diese Formulierung trifft so genau zu, dass man sie selber gern gefunden hätte. Der Roman von Willem Frederik Hermans (1921-1995) ist bitterböse Satire: auf den Universitätsbetrieb in den Niederlanden der siebziger Jahre, auf die »versteckte Bosheit und Dummheit« der Professorenschaft, die pseudo-kommunistischen Studentenrevolten mit ihren Sit-ins, den Che- und Mao-Bildern. Schließlich ist es eine Karikatur der Hauptperson, des Chemieprofessors Rufus Dingelam mit seiner Frau Gré.

Genauer Beobachtung entsprungen, schildert der Roman ziemlich realistisch das Aussehen, das Verhalten, die Psyche, die Eitelkeiten der verschiedenen Personen bis hin zu ihrer lächerlichen Kleidung (samt den Roben oder Talaren), mit der sie sich behängen. So mag es schon gewesen sein, zugegeben, abzüglich einiger grotesker Einlagen. Dass ein alterndes, kinderloses Professoren-Ehepaar, glücklich mit einem alten Hahn vom Dorfnachbarn beschenkt, dieses »Hähnchen« im Wohnzimmer, vorrangig auf dem Fernseher, herumspazieren lässt, ist schon absurd. Aber warum auch nicht? Andernorts sind Katzen oder Hunde Kinderersatz.

Professor Doktor Roef Dingelam hat über seine Forschungs- und Lehrtätigkeit hinaus wenig Interesse an gesellschaftlichen Ereignissen und dem Klatsch in seinem Umfeld. Er und Gré leben zurückgezogen. Seit Jahren verbringen sie die Wochenenden in einem bescheidenen Landhaus, das eher einer Gesinde-Unterkunft gleicht. Eines Sonnabendmorgens erreicht ihn dort die Nachricht, dass er für eine frühere Entdeckung den Nobelpreis für Chemie erhält. Die beiden können es kaum fassen, aber die Radiosender berichten es auch schon.

Verwirrung stiftet die Nachricht vor allem an der Universität, zumal der Rektor als auch der Kuratoriums-präsident Dingelam kaum kennen. Er sitzt in seinem kleinen Labor, und sie haben ihm den ekelhaften Tamstra als Labor-Direktor vor die Nase gesetzt. Überstürzt werden Erkundigungen eingeholt, eine interne Sitzung angesetzt, eine Feier geplant, ein großes Blumenbouquet in Dingelams Wohnung abgegeben (worin sich das »Hähnchen« einen schönen Ruheplatz freischarren wird). Noch fataler ist es, dass ausgerechnet in der kommenden Woche die Studenten Krawall machen und das Chemie-Labor besetzen wollen. Auf Spruchbändern prangt der Slogan: »Mein Reagenzglas gehört mir.« Und das ausgerechnet angesichts der zu erwartenden Presse aus aller Welt. Nur der Nobelpreisträger erfährt nichts. Machen wir es kurz, alles versinkt im Chaos. Da bleibt Dingelam samt seiner Frau nur eines: die Flucht in den Süden, wobei ein alter Freund und Psychiater nachhelfen muss.

Ohne Willem Frederik Hermans’ ähnliches Schicksal eines von der Universität Groningen Vertriebenen hätten wir den Dingelam wahrscheinlich nicht und ohne die preisgekrönte Erfindung Dingelams käme die Welt um so manches Vergnügen. Um welches es sich handelt, muss jeder selbst im Buch nachlesen. Da findet er auch die chemische Formel.

Willem Frederik Hermans: Unter Professoren. Roman. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen und Barbara Heller. Aufbau Verlag. 512 S., geb., 22,95 €.

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