Heißer Stern aus Sankt Petersburg

Die russische Ska-Band Markscheider Kunst wurde in der postsowjetischen Ära groß. Jetzt spielt sie mal wieder in Berlin

  • Mario Pschera
  • Lesedauer: 3 Min.

»Ich arbeitete in diesem legendären Underground-Club TaMtAm und dort gab es nur Hardcore. Das musste aufhören, ich konnte das nicht länger hören.« So beschreibt der Sänger und Gitarrist Sergej Jefremenko, genannt Jefr, die Verwandlung einer ordinären Rockabillyband in den Ska-Kampfstern »Markscheider Kunst« im kalten Sankt Petersburg des Jahres 1992.

Ska heißt bei Markscheider Kunst nicht das trötenbegleitete Durchknüppeln von Ufftata mit Aussetzern, das großspurig zum Offbeat erklärt wird, sondern eine Musik, der man deutlich die Beschäftigung mit den Traditionen anmerkt. Man hört das Herkommen aus den unterschiedlichen afrikanischen Musikstilen, die auf dem lateinamerikanischen Kontinent durch die erzwungene Migration - wir reden von Sklaverei - zu einer Melange verschmolzen. Angereichert mit der Volksmusik der europäischen Ankömmlinge wurde Ska im England der 50er und 60er Jahre durch jamaikanische Einwanderer zu einem britischen Ding. Und dann die russische Sprache als Sahnehäubchen drauf!

Die ehemaligen Bergbaustudenten von Markscheider Kunst - daher auch der exotische Name - waren nicht die ersten, die diese Art von Musik spielten. Studenten aus befreundeten Ländern brachten ihre Musik mit in die Sowjetunion, Bands wie Jah Division und Dr. I-Bolit wandelten auf den Spuren des Dub-Pioniers Lee »Scratch« Perry. Dva Samoleta erfanden gleich eine eigene Kunstsprache, die sie Suaheli nannten. Markscheider Kunst aber wurden das ganz eigene Ding in Russland, sie hielten sich nicht mit Madness-Imitationen und Russkij Reggae auf, sie stellten die afrikanischen und lateinamerikanischen Wurzeln des Ska auf der Bühne aus. Serafim Makalinga aus Kongo, Frontmann der ersten Stunde, sang und wirbelte über die Bühne, ein Exotikum für die russische Szene. Bei einem Konzert Ende der 90er Jahre in einem Berliner Konzertkeller wechselte er an die zehn Mal in dem Zwei-mal-zwei-Meter-Backstagekabuff von einem grellen Outfit ins nächste.

Serafim verfolgt mittlerweile seine eigenen Projekte, gleichwohl lebt das Konzept der Gruppe von der Liebe zu Polyrhythmik und Satzgesang, Bläsersätzen, die fett, aber nicht breiig daherkommen, und einer Spielfreude, die auch nach 25 Jahren nicht erschlafft ist. 25 Jahre, die nicht die einfachsten waren in einem Russland, für das das Wort Raubtierkapitalismus eigens erfunden schien. Während frischgewendete Funktionäre, kleine und große Businessmen, sich das Staatseigentum in erstaunlicher Geschwindigkeit unter den Nagel rissen - in der westlichen Osteuropawissenschaft nannte man das euphorisch Transformation -, verarmten zusehends große Teile der Bevölkerung. Paradoxe Zeiten für Musiker: Wer nicht weiß, was der morgige Tag bringt, gibt sein Geld lieber heute für gute Unterhaltung aus. Andererseits geriet der Tonträgerhandel völlig aus dem Tritt. Auf dem grauen Markt wurden Raubkopien gerade frisch erschienener Alben und ganze MP3-Sammlungen vertickt, später blühte der Schwarzhandel auf Internetplattformen.

Als Markscheider Kunst ihr Album »Krasiva sleva« 2001 erstmalig bei EMI Russland herausbrachten, klagten die Fans, dass dafür mehr als drei Monatsstipendien in der Grundsicherung (ungefähr 1200 Rubel) zu berappen waren. Andererseits erhielt die Band pro verkaufter Kopie lächerliche neun Kopeken. Ein Grund mehr für die Entscheidung, das nunmehr zehnte Album, das dieses Jahr erscheinen soll, über Crowdfunding zu finanzieren.

Kein schlechter Ansatz, denn die Band hat mittlerweile in der ganzen Welt Konzerte absolviert, mit etlichen Größen der Ska-, Reggae- und Dubszene auf der Bühne gestanden und ist auch durch etliche Side Projects bestens vernetzt. An diesem Sonntag spielen sie im Berliner Club »Hangar 49«, der immer wieder hochkarätige postsowjetische Bands auf die Bühne bringt: diesmal unter dem Namen »Tres Muchachos & Companeros« - akustisch und afrokubanisch, und natürlich russisch. Besseres als der heiße Stern aus St. Petersburg kann einem im kalten Berlin gar nicht passieren.

Konzert am 12.2., 20 Uhr, im »Hangar 49«, Holzmarktstr. 15-18, Mitte. Weitere Termine: 9.2. Hannover, 10.2. Hamburg, 11.2. Lübeck, 13.2. Rostock, 14.2. Leipzig, 15.2. Nürnberg, 16.2. Immeldorf, 17.2. Augsburg, 18.2. München

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