Reglements des Rechtsstaats gehen über Bord

Maßnahmeplan von Bund und Ländern zu restriktiven Abschiebungen lässt viele Fragen offen und um bisherige Standards fürchten

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.

Noch nie habe eine so große Gemeinsamkeit zwischen den Ländern und der Bundesregierung bestanden, freute sich am Freitag der Chef des Bundeskanzleramts, Peter Altmaier (CDU). Und wie eine Erklärung dafür klang die beschwichtigende Bemerkung von Bremens Bürgermeister Carsten Sieling (SPD), im Deutschlandfunk: Man habe ja »keine unrechtmäßigen Rechtsverschärfungen oder Ähnliches gemacht«. Andere sehen das anders. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, warnte vor rechtsstaatlichem Tabubruch. Ihm falle »kein Grund ein, warum eine ansonsten unbescholtene ausreisepflichtige Person ihrer persönlichen Bewegungsfreiheit beraubt und die letzten Wochen in Deutschland zwangsweise in einem Deportierungslager festgehalten werden sollte«. Bundespolizisten würden nicht als »Lagerwächter« fungieren.

Tatsächlich erfährt das am Donnerstag von der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten der Länder beschlossene Paket zur schnelleren Abschiebung von Flüchtlingen eher einzelnen, aber grundsätzlichen Widerspruch. In einer Protokollerklärung wies der Freistaat Thüringen, dessen Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE) nicht an dem Treffen teilgenommen hatte, auf solche bedenklichen Punkte hin. Neben der formalen Kritik, dass die Ministerpräsidenten zum Vollzugsgremium des Koalitionsausschusses degradiert würden, der den Plan bereits am Wochenanfang verabschiedet hatte, sind es auch inhaltliche Bedenken, die Ramelows Fernbleiben erklären.

So wird die geplante Sanktionierung von Flüchtlingen als »kein geeigneter Ansatz zur Lösung der vor uns liegenden Herausforderungen« bezeichnet. Es geht dabei um geplante Leistungskürzungen und Beschäftigungsverbote für Flüchtlinge, die an ihrer eigenen Rückführung nicht ausreichend mitwirken. Generell befürwortet Thüringen Maßnahmen zur »stärkeren freiwilligen Rückkehr« von Flüchtlingen statt Abschiebungen. Kritisch merkt Thüringen an, dass in dem Plan erfolgreiche Integration in Frage gestellt wird und die Bekämpfung von Fluchtursachen überhaupt keine Rolle spielt.

Stattdessen geht es um die Verfeinerung des Abschiebungsmechanismus. Bisher muss bereits über ein Jahr Geduldeten das Ende der Duldung einen Monat vor ihrem Ende mitgeteilt werden. Diese Frist soll wegfallen, was auf Überraschungsabschiebungen auch länger hier lebender Flüchtlinge hinauslaufe, befürchtet Pro Asyl.

Abschiebungen sind Zwangsmaßnahmen, deren Durchsetzung eine Kaskade weiterer staatlicher Restriktionen auslöst, wie sich an der Abschiebehaft zeigt. Geplant ist nicht nur die Verlängerung des möglichen »Ausreisegewahrsams« auf zehn Tage - für »normale« Fälle, zur Absicherung reibungsloser Sammelabschiebungen. Sondern es wird auch ein neuer Abschiebehaftgrund für sogenannte Gefährder eingeführt. Wie schon bisher Flüchtlinge, die etwa ihre Abschiebung vereitelt haben, dürfen als Gefährder identifizierte Menschen dann wohl bis zu 18 Monate in Abschiebehaft genommen werden. Die Organisation Pro Asyl sieht hierin eine rechtsstaatlich problematische Vermischung von Ausländerrecht und Strafrecht. Die Abschiebehaft dürfe nur zur Sicherung der Abschiebung eingesetzt werden, sie sei »keine rechtlich zulässige Maßnahme zur Abwehr terroristischer Gefahren«.

Fachleute bezweifeln, dass all die geplanten Maßnahmen den angestrebten Effekt haben werden - die Abschiebungen zu effektivieren, ihre Zahl und Geschwindigkeit zu erhöhen. Die im Prinzip zur Ausreise verpflichteten Geduldeten, deren Zahl in Medien mit rund 500 000, aber von der Bundesregierung mit rund 200 000 angegeben wird, sind zum Teil bereits über Jahre in Deutschland, weil reale, rechtswirksame Gründe ihr Hiersein erzwingen. Das können gesundheitliche Gründe sein oder das Fehlen von Ausweispapieren des Heimatlandes, auch die Trennung von Familien wird vermieden, indem man ein ausreisepflichtiges Familienmitglied duldet. Diese Gründe entfallen nicht und sind rechtlich weiterhin bindend.

Neben Thüringen wies hierzu auch Baden-Württemberg kritisch darauf hin, dass in dem beschlossenen Plan nicht auf bereits gut integrierte Altfälle eingegangen werde. Ihre Rückführung wäre inhuman und berge das Risiko sozialer Spannungen, heißt es in der Thüringer Erklärung. Auch Berlin und Brandenburg erklärten den Vorbehalt, dass über eine Zustimmung im Bundesrat erst bei Vorliegen des Gesetzentwurfs entschieden werden könne. An diesem arbeitet jetzt die Bundesregierung.

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