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Von Katzen und Mäusen

Im Kino: »Elle« von Paul Verhoeven

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Zehn Jahre nach seinem letzten Film kehrt der aktuelle Jurypräsident der Berlinale, Paul Verhoeven, zu einem Erfolgsrezept zurück, das etwa bei »Basic Instinct« so gut funktionierte: Starke und schräge Frauencharaktere in trashiger Genrefilm-Umgebung. Entstanden ist mit »Elle« ein etwas zu langer und etwas zu gewollt provokanter Thriller. Doch der Film begeistert andererseits mit einer umwerfenden Isabelle Huppert als Freundin höchst abgründiger Rollenspiele, die ihre Umgebung intellektuell haushoch überragt und die sich eiskalt nimmt, was sie will.

Die erfolgreiche, von Mann und erwachsenem Sohn getrennt lebende Managerin Michele (Huppert) wird in ihrer Wohnung brutal vergewaltigt. Aus diesem schockierenden Vorfall gleich zu Beginn des Films entwickelt sich ein gefährliches Katz- und-Maus-Spiel, das auch Micheles Umgebung nicht unberührt lässt.

Leider ist in »Elle« alles etwas überkandidelt und der Film fühlt sich dadurch oft nicht echt an. Mehr Kraft hätte er vielleicht gehabt, wenn die Protagonistin einen »normalen« Job hätte haben dürfen und nicht Chefin einer super-hippen Computerspiel-Firma mit entsprechend super-hippem Personal hätte sein müssen. Vielleicht ist auch Micheles familiärer Horror-Hintergrund etwas zu dick aufgetragen: Michele ist (darf es ein bisschen mehr sein?) Tochter eines Serienkillers und Amokläufers. Nach dessen Mordserie wurde sie, obwohl noch ein Kind, von den Medien und der Polizei durch die Mangel gedreht und hat seitdem den Glauben an Staat und Gesellschaft verloren. Noch heute wird sie von Opferangehörigen auf offener Straße attackiert, der Vater sitzt im Gefängnis. Geht sie wegen dieser Vergangenheit nicht zur Polizei, um den Vergewaltiger anzuzeigen? Oder weil sie mit dem Täter selber noch so einiges vorhat?

Je schriller sich der teils zähe und teils alberne Film in Fäkalsprache und redundanten und halbgaren Provokationen über die Late-Life-Crisis und das Sexleben jenseits der Fünfzig ergeht, desto heller erstrahlt Isabelle Huppert über der sich ausbreitenden Durchschnittlichkeit. Reflexartig beklagen jetzt viele Kritiker die Verklemmtheit Hollywoods, weil zwar Isabelle Huppert für einen Oscar als beste Darstellerin nominiert ist, nicht aber Paul Verhoeven für den besten Film. Dabei spiegelt diese Entscheidung genau die Kinoerfahrung: eine faszinierende Einzeldarstellung in einem Film, der mit dieser Extraklasse einfach nicht mithalten kann.

Dass man »Elle« dennoch mit Gewinn sieht, dafür sorgt Hupperts Michele mit unterkühlten und vergifteten Komplimenten, mit abschätzigen Augenaufschlägen und mit einer fast schon gruseligen Arroganz. Solche Charaktere werden in anderen Filmen oft als vereinsamte und unter ihrer eigenen, kalten Brillanz leidende Individuen dargestellt, als seien sie Opfer ihrer menschlichen Unnahbarkeit. Nicht so in »Elle«, hier ist Michele mit sich im Reinen, scheint in ihrem grenzenlosen Zynismus zu ruhen. Diese fast positive Darstellung einer sozialen Abkehr ist dann doch sehr ungewöhnlich, manche würden sagen: provokativ.

Micheles Verhalten im Verlauf der auf einem Roman von Philippe Djian beruhenden Geschichte kann hier nicht weiter ausgeführt werden - doch es wird möglicherweise Diskussionen um Verhoevens Film entfachen, bis hin zum Vorwurf der Frauenfeindlichkeit.

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