Testosteron aus der Tube

Welche Vorzüge und Nachteile hat eine Hormonersatztherapie für Männer?

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.

Bei Männern über 40 sinkt der Testosteronspiegel im Blut um ein bis zwei Prozent pro Jahr. Dieser Abfall ist so geringfügig, dass ein gesunder Mann davon gar nichts bemerkt.

Gleichwohl gibt es Männer, bei denen der Rückgang des Testosteronspiegels zu einem medizinisch relevanten Testosteronmangel führt. Dies geschieht gewöhnlich zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr und geht zunächst mit einer unklaren Symptomatik einher: Jemand ist permanent müde und schlapp. Er arbeitet halt zu viel, heißt es dann. Ein anderer hat keine Lust mehr auf Sex. Auch hierfür findet sich rasch eine Entschuldigung: zu viel Stress. An Testosteronmangel denkt in solchen Fällen kaum einer.

Testosteron ist ein Androgen, das allerdings nicht nur Männer, sondern auch Frauen im Blut haben, wenngleich in deutlich geringerer Konzentration. Im Körper des Mannes wird es vornehmlich in den Hoden gebildet. Es sorgt für die Ausprägung eines männlichen Phänotyps, steuert die Spermienproduktion und regt das sexuelle Verlangen (Libido) an. Außerdem beeinflusst es das Knochenwachstum und ist an der Blutbildung beteiligt. Nicht zuletzt besitzt Testosteron eine anabole Wirkung, das heißt, es fördert den Muskelaufbau und steigert die körperliche Leistungsfähigkeit.

Entsprechend vielfältig sind die Beschwerden bei Testosteronmangel: nachlassende Libido, Erektionsprobleme, Müdigkeit, Antriebsarmut, Verminderung der Knochendichte, Abnahme der Muskel- und Leistungskraft. Bekanntlich treten solche Symptome auch bei anderen Erkrankungen auf, so dass es gewöhnlich schwierig ist, die Diagnose Testosteronmangel zu stellen. Hinzu kommt, dass der Testosteronspiegel von Mann zu Mann stark schwankt. Bei einem 40-Jährigen liegt er zwischen 3,0 und 8,3 ng/ml. Erst unterhalb des Wertes von 3,0 ng/ml sprechen Mediziner von einem Mangel. »Ein pathologischer Testosteronwert muss durch zweimalige Blutentnahme im Abstand von zwei bis vier Wochen bestätigt werden«, erklärt der österreichische Urologe Michael Eisenmenger. »Bestehen gleichzeitig Beschwerden, ist das eine Indikation zur Durchführung einer Hormonersatztherapie.«

Bisher kam diese Art der Behandlung vor allem bei Menschen mit krankheitsbedingtem Testosteronmangel zum Einsatz. Dessen Ursache liegt häufig in einer Unterfunktion der Hoden, die trotz ausreichender Stimulation durch die übergeordneten Hormonzentren im Gehirn zu wenig Testosteron produzieren. Mediziner sprechen hier von Hypogonadismus. Dabei ist auch der umgekehrte Fall möglich. Das heißt, die Hypophyse (Hirnanhangdrüse) schüttet nicht genügend Hormone aus, um die an sich funktionstüchtigen Hoden zu stimulieren. Beide Störungen können bereits in jungen Jahren auftreten - mit ausgeprägten Symptomen: geringer Bartwuchs, Unfruchtbarkeit, Osteoporose etc. »Solche Patienten brauchen selbstverständlich eine Hormontherapie, um ihre Beschwerden zu lindern und ihnen ein normales Sozialleben zu ermöglichen«, sagt Christof Schöfl, Leiter der Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Erlangen.

Schwieriger wird die Sache bei einem altersbedingten Testosteronschwund. Zwar könne auch dieser einen gewissen Krankheitswert aufweisen und hormonell behandelt werden, so Schöfl. Weil das Krankheitsbild aber nicht gut definiert sei, sollten Ärzte hier Vorsicht walten lassen. In der Bundesrepublik ist das großenteils der Fall. Anders in den USA. Hier gehört die Testosterontherapie für Männer über 50 längst zur Lifestyle-Medizin, denn sie verspricht Vitalität, Leistung und neue Manneskraft. Pharmaunternehmen werben für Testosteron-Gele zum Auftragen auf die Haut, für Skrotalpflaster und Testosteronimplantate. Innerhalb weniger Jahre ist der Markt für solche Produkte um fast 70 Prozent gewachsen.

Nicht zu vergessen: Testosteron ist auch ein beliebtes Dopingmittel, das vor allem im Kraft- und Ausdauersport zum Einsatz kommt. Denn es beschert Sportlern mehr Muskelkraft und verschiebt ihre Leistungsgrenze nach oben. Bekannt wurde in diesem Zusammenhang der Fall des US-amerikanischen Radprofis Floyd Landis, der nach einem überraschenden Etappensieg bei der Tour de France 2006 positiv auf Testosteron getestet wurde. Obwohl er vehement seine Unschuld beteuerte, erkannte ihm der Radsport-Weltverband im Nachhinein seinen Toursieg ab.

Dass Testosteron im Rahmen einer Hormonersatztherapie hilft, viele der als lästig empfundenen Hormonmangelbeschwerden zu lindern, steht heute außer Zweifel. Allerdings geht es auch hier nicht ohne Nebenwirkungen ab. In den letzten Jahren wurden in Fachzeitschriften mehrere Artikel veröffentlicht, die sich mit den Wirkungen von Testosteron auf den menschlichen Körper beschäftigen. Als empirische Basis dienten Studien, an denen 788 Männer teilnahmen, die alle über 65 waren und einen zu niedrigen Testosteronspiegel hatten. Ein Jahr lang mussten die Probanden täglich ein Gel auf die Haut auftragen, das bei der einen Hälfte der Teilnehmer Testosteron, bei der anderen ein Placebo enthielt. Viele Männer aus der Testosterongruppe berichteten über einen Anstieg der Libido, der mehrere Monate anhielt. Die Wirkung auf die erektile Funktion war dagegen gering und nicht vergleichbar mit Viagra. Überzeugend fielen die Studien zum Knochenstoffwechsel aus. In der Testosterongruppe kam es zu einer deutlichen Zunahme der Knochendichte, wobei die Wirbelknochen mehr von der Therapie profitierten als etwa die Hüftknochen. Einige Forscher hatten überdies erwartet, dass Testosteron sowohl das Gedächtnis als auch die kognitive Leistungsfähigkeit positiv beeinflusse. Doch nichts dergleichen konnte nachgewiesen werden.

Dafür bildeten sich bei Männern, die mit Testosteron behandelt worden waren, mehr Ablagerungen in den Blutgefäßen. Infolge einer Gefäßverkalkung steigt normalerweise das Risiko für einen Herzinfarkt. Da es im Verlauf der Untersuchung aber zu keiner solchen Erkrankung kam, sehen die Wissenschaftler hier weiteren Forschungsbedarf. »Die Vorzüge einer Testosterontherapie im Bereich der Sexualität sind unbestreitbar, gleichwohl sollten uns die Ergebnisse der Herz-Kreislauf-Studie zur Zurückhaltung mahnen«, sagt Thomas Gill, Professor für Geriatrie und Epidemiologie an der Yale University (USA). Er und seine Kollegen empfehlen die Anwendung einer Hormonersatztherapie deshalb nur bei ausgeprägtem Testosteronmangel, der zudem mit merklichen Beschwerden einhergeht.

Einen moderaten Testosteronmangel kann unser Körper hingegen auf natürliche Weise ausgleichen. Zum Beispiel durch Abnehmen. Denn im Fettgewebe, speziell im Bauchfett, ist das Enzym Aromatase enthalten, welches Testosteron in weibliche Geschlechtshormone (Östrogene) umwandelt. Je üppiger also der Bauch ist, den Männer mit sich herumtragen, desto weniger Testosteron haben sie im Blut. Rauchen und übermäßiger Alkoholkonsum setzen den Testosteronspiegel ebenfalls herab. Wer auf beides verzichtet, vermeidet nicht nur die bekannten Risiken des Nikotin- und Alkoholmissbrauchs. Er kräftigt auch seine Knochen, steigert seine sexuelle Leistungsfähigkeit und verbessert seine Kondition. Eine Beeinträchtigung des Herz-Kreislauf-Systems tritt bei alldem nicht auf. Bei einer Testosterontherapie besteht diese Gefahr durchaus, wenngleich deren Ausmaß bisher noch unzureichend erforscht ist.

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