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Vergeltung mit Gemüseboykott

Die russischen Handelssanktionen hinterließen einen nachhaltigen Eindruck

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Tiefpunkt der russisch-türkischen Beziehungen in diesem Jahrtausend war der 24. November 2015. Damals wurde im Syrien-Krieg eine Suchoi-24 der russischen Luftwaffe von den türkischen Luftstreitkräften abgeschossen. Die Su-24 hatte, auf Seiten der syrischen Regierungsarmee eingesetzt, Angriffe gegen Rebellenstellungen im syrisch-türkischen Grenzgebiet geflogen und dabei, so die türkische Behauptung, türkischen Luftraum verletzt. Die russische Seite bestritt dies.

Die Rebellen in jenem Gebiet standen und stehen wohl noch heute unter türkischem Kuratel. Ohne Ankara hätten sie keinen Nachschub und keine Rückzugsräume. Der abgeschossene Pilot hatte sich zwar retten können, ging mit seinem Fallschirm aber in Rebellengebiet nieder und wurde dort massakriert. Da die Türkei ihrerseits auch noch die NATO um Beistand bat, ging wesentlich auch noch politisches Porzellan zu Bruch.

Der Ton der Erklärungen beider Seiten erlangte eine Schärfe, die eine schnelle Reparatur der angeschlagenen Beziehungen ausgeschlossen erscheinen ließ. Russland verhängte harte und sofortige Handelssanktionen. Erst da erkannte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan offensichtlich, dass sein Amtskollege Wladimir Putin mehr als nur drohen wollte. Erdogans halbseidener Entschuldigungsversuch: »Ich wünschte, es wäre nicht geschehen. Doch die Türkei hat das Recht ihre Grenzen zu verteidigen«, war Putin zu wenig, zumal Erdogan eine formelle Entschuldigung schuldig blieb.

Die türkische Exportwirtschaft traf es nun hart und unvermittelt. Auf Verbrauchsgütern aller Art, vornehmlich Gemüse, Obst, Schuhe, Textilien und Elektroartikel, blieb man sitzen. Ganze Ferienkolonien an der türkischen Mittelmeerküste, die ihre Resorts seit Jahren vor allem an neureiche Russen reißend losgeworden waren, saßen nun auf dem Trockenen. Auch große türkische Baukonzerne, die sich in Russland häufig erfolgreich um Großprojekte beworben hatten, verloren ein wesentliches Geschäftsfeld. Der visafreie Reiseverkehr wurde von russischer Seite aufgekündigt. Saßen die Verlierer des Flugzeugabschusses also vor allem in der Türkei, so nützte die von reichlich propagandistischer Orchestrierung begleitete Bestrafungsaktion aber auch Russland wenig bis nichts. Effektiv schmälerte sie das durch die von der EU verhängten Handelssanktionen bereits erheblich reduzierte Angebot an Konsumgütern weiter.

Da beide Seiten offenbar die eingetretene Situation schon nach wenigen Wochen am liebsten ungeschehen gemacht hätten, wurde nach Wegen gesucht, die Konfrontation abzubauen. Schon zum Jahresende 2015 verebbte deshalb das nationalpatriotische Gebrüll auf beiden Seiten, und es begann die Suche nach Kompromisslinien, die im Verlauf des vergangenen Jahres sehr bald gefunden wurden. Nach einer Geste Erdogans, die Familie des toten Piloten entschädigen zu wollen, erklärte Putin die Sache für abgegolten. Fuchs Erdogan übrigens interessierte sein Geschrei von einst nun übrigens überhaupt nicht mehr und erklärte im September die Putschisten vom 15. Juli auch zu Verantwortlichen für den Su-24-Abschuss. Die Russen haben nicht protestiert.

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