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Nicht mehr alle Filme im Schrank

Der ZLB-Stiftungsrat will Ende März entscheiden, den Bezug von Medien weiter auszulagern

  • Ellen Wesemüller
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Ildikó Enyedi im Februar den Goldenen Bären auf der Berlinale gewann, war die Filmemacherin vielen Berlinern unbekannt. Doch die Ungarin war bereits mehrfach international ausgezeichnet worden. Und in der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) kann man schon länger fünf ihrer früheren Werke ausleihen. »Meine Frau und ich waren in Budapest und haben die Filme eingekauft«, erzählt Peter Delin, der die Filmbibliothek der AGB vor 20 Jahren aufgebaut hat.

Es ist die größte öffentlich zugängliche Sammlung Deutschlands, 55 000 Filme kann man sich hier ausleihen. »Das will er nun auch ruinieren«, sagt Delin. »Er«, das ist Volker Heller, Managementdirektor und Stiftungsratvorsitzender der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB), zu der die AGB gehört.

Die kurze Geschichte eines Wandels
  • 1995 entsteht die ZLB als rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts, AGB und Berliner Stadtbibliothek werden vereint.
  • 2005 kommen die Senatsbibliothek und der Berliner Gesamtkatalog hinzu.
  • 2011 beschließt der Senat einen Neubau auf dem Tempelhofer Feld, der die Bestände vereinen sollte. Der Volksentscheid 2014 macht dies hinfällig.
  • 2014 entscheidet der Stiftungsrat, die Beschaffung der Bestände zu großen Teilen an die Unternehmen ekz und Hugendubel auszulagern.
  • 2015 sammeln Nutzer 20 000 Unterschriften gegen die externen Anbieter.
  • 2016 wird die Auslagerung trotzdem umgesetzt. Auf dem Bibliothekskongress in Leipzig wird mit »Modell B« die zweite Stufe der Neustrukturierung des Bestandsaufbaus vorgestellt.
  • 2017 soll »Modell B« beschlossen, Anfang 2018 umgesetzt werden. ewe

Am 30. März will der Stiftungsrat beraten, ob die Beschaffung der Medien weiter ausgelagert werden soll, bestätigte Heller dem »nd«. Dann sollen neben dem Bereich von allgemeinem Interesse auch die speziellen Bereiche wie Musik- und Filmbibliothek teilweise von externen Dienstleistern beliefert werden. Bereits Ende des Monats könnte so entschieden werden, das sogenannte »Modell B« umzusetzen, die zweite Stufe in einem Prozess, der den Bezug von Medien neu strukturieren soll.

Die erste Stufe hatte der Stiftungsrat bereits 2014 beschlossen: Bücher sollten nicht mehr einzeln von hauseigenen Lektoren ausgewählt, sondern zum Teil von privaten Dienstleistern im Paket geliefert werden. Das Reutlinger Unternehmen ekz.bibliotheksservice erhielt den Zuschlag, ein Drittel der Bücher von allgemeinem Interesse zu liefern, der Großbuchhändler Hugendubel bestückt seitdem 80 Prozent der Kinderbibliothek. Es ist ein sogenanntes Standing-order-Verfahren: Die Dienstleiser liefern an alle Berliner Bibliotheken, ohne die Lektoren einzubeziehen. »Es ist nicht sinnvoll, in allen Bibliotheken parallel die gleiche Auswahlarbeit zu machen«, begründet Heller den Schritt.

Schon damals regte sich dagegen Protest. Nutzer sammelten 20 000 Unterschriften - ohne Erfolg. Anfang 2016 wurde die Auslagerung umgesetzt. Auch die LINKE war dagegen: »Wir wollen den zentralen Büchereinkauf rückgängig machen«, heißt es noch im Programm zur Abgeordnetenhauswahl. Die Begründung: »Die zentrale Kompetenz einer gut sortierten allgemeinwissenschaftlichen Bibliothek in und für Berlin wird so weitestgehend vernichtet.« Für diese Position stand Wolfgang Brauer, 14 Jahre kulturpolitischer Sprecher der LINKEN, der im Dezember kurz nach Ernennung seines Parteikollegen Klaus Lederer zum Kultursenator, aus der Partei austrat.

Von einer Rücknahme der Auslagerung ist nun keine Rede mehr, im Gegenteil. Über genaue Zahlen will Heller nicht sprechen, auch, weil der Stiftungsrat noch entscheiden muss, wie die Aufträge ausgeschrieben werden. »Von der Grundidee ist es dasselbe wie auf dem Bibliothekskongress in Leipzig vorgestellt«, sagt er. Die Gewerkschaft ver.di hat den Vertrag von März 2016 vorliegen und nachgerechnet: »Insgesamt soll 75 bis 100 Prozent des Bestandsaufbaus outgesourct werden«, sagt Jana Seppelt, Gewerkschaftssekretärin für Bibliotheken bei ver.di.

Heller bestätigt: »Film- und Musikbibliothek sind bisher nicht einbezogen worden in die Ausschreibung der Leistungen, das wird in Teilen verändert.« Das habe auch Auswirkungen auf die Arbeit der Lektoren: »In den Bereichen, die ausgeschrieben werden, gibt es weniger Einzelbestellungen, das werden vor allem Nachbestellungen, Kaufwünsche und Ersatzkäufe sein.«

Der Kultursenator, zudem Vorsitzender des Stiftungsrats, äußert sich zurückhaltend: »Wir sind uns der Problematik bewusst und werden selbstverständlich sehr genau hinsehen«, sagt Lederer. Alles weitere werde im Stiftungsrat diskutiert.

Ist sich der Stiftungsrat in seiner Mehrheit einig, wird Ende März jedoch nicht mehr nur diskutiert, sondern auch entschieden. »Im Stiftungsrat war die Resonanz einhellig: Das ist genau richtig«, bestätigt Heller. Doch Lederers Meinung hätte Gewicht: Es wäre unwahrscheinlich, dass der Stiftungsrat gegen seinen erklärten Willen entscheidet, zumal das Land die ZLB vollständig finanziert.

»Das Vorgehen der ZLB und der Politik ist für uns nicht nachvollziehbar«, sagt dann auch Seppelt: »Warum werden Kompetenzen öffentlicher Einrichtungen in die Privatwirtschaft ausgelagert, wenn man sie im Haus behalten kann?« Auch Lothar Brendel, Personalratsvorsitzender im Stiftungsrat, kritisiert: »Das ist die Zerrüttung einer Kultureinrichtung in Berlin. Es ist unglaublich, wenn ein Kultursenator der LINKEN da mitmischt.« Er fasst zusammen: »Das ist, als würde man ein Restaurant eröffnen und dann das Essen vom Caterer beziehen.«

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