Weniger Stars für mehr Medaillen

Deutsche Sportler holen in diesem Winter 18 WM-Titel, der DOSB aber warnt vor zu hohen Olympiaerwartungen

An diesem Montag hat der Sportinformationsdienst (SID) auf seine »WM-Bilanz« verzichtet. Eine Woche zuvor - die Nordischen Skiweltmeisterschaften in Lahti waren gerade zu Ende gegangen - hatte die Agentur noch mit »Doppelt so viel Gold wie in Sotschi 2014« frohlockt, und dabei vorgerechnet, dass deutsche Sportler in diesem Winter bei den verschiedensten Weltmeisterschaften bereits 18 Titel und 34 Medaillen in olympischen Disziplinen gesammelt hatten. Bei den letzten Winterpsielen in Russland waren »nur« acht Olympiasiege und 19 Medaillen errungen worden, und noch ist der Winter ja nicht vorbei. Einige WM-Entscheidungen stehen noch aus.

In den sieben Tagen nach jener Zwischenbilanz kämpften Shorttracker, Snowboarder und Ski-Freestyler um weitere 18 WM-Titel. Nicht ein Mal kamen deutsche Athleten dabei jedoch auch nur unter die ersten Acht. Nun die gleiche Bilanz erneut zu veröffentlichen, war dem SID dann doch zu blöd, und es ist auch nur allzu wahrscheinlich, dass bei den ausstehenden 19 WM-Entscheidungen kein Titel mehr dazukommt. Das Pulver ist verschossen, und hier zeigt sich ein Problem des deutschen Spitzensports: Die Fokussierung auf immer weniger Disziplinen.

2010 gewannen deutsche Athleten noch in neun Sportarten Medaillen, Olympiasiege gab es in sechs von ihnen. 2014 waren es nur noch sieben Sportarten mit Edelmetall, in vier davon wurden Goldmedaillen gefeiert. Und wo kommen jetzt die 18 WM-Titel her? Immerhin: Deutsche Weltmeister gibt es nun wieder in sechs Sportarten. Ein Trend lässt sich daraus jedoch noch nicht ablesen. Bob- und Skeletonfahrer etwa gewannen zwar vier Titel, aber alle auf ihrer Heimbahn in Königssee. Den Heimvorteil werden sie in Südkorea nicht haben und wohl auch nicht noch einmal das Glück, dass sich zwei Bobvierer zeitgleich Gold teilen dürfen.

Skispringerin Carina Vogt wurde in Lahti zwar erneut Weltmeisterin, gewann jedoch weder vorher noch nachher einen Weltcup. So ist sie ebenso kaum eine sichere Medaillenkandidatin wie Biathlet Benedikt Doll. Ohne Ausnahmekönnerin Laura Dahlmeier hätte es für den Deutschen Skiverband (DSV) in Hochfilzen statt sieben auch nur zwei Titel gegeben. Und bei den Nordischen Kombinierern rettete Johannes Rydzek zwei seiner vier Titel erst auf der Zielgeraden vor der internationalen Konkurrenz. Nur die Rodler scheinen immer noch der Konkurrenz auf Dauer voraus zu sein.

Das war es. Die Last liegt auf wenigen Schultern, und so verwundert es nicht, dass Alfons Hörmann bei aller Freude die Euphorie einzudämmen versucht: »Ich warne vor völlig überzogenen Erwartungen für das Olympiajahr. Der Weg nach Pyeongchang ist noch lang und steinig«, sagte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. Nachdem in Sotschi zu viele Kandidaten auf der Bobbahn, der Langlaufloipe und dem Eisschnelllaufoval komplett leer ausgegangen waren, verzichtet der DOSB in Südkorea erstmals komplett auf Medaillenziele oder -korridore. »Es wird in Pyeongchang völlig andere Rahmenbedingungen geben als bei den Weltmeisterschaften in diesem Jahr«, sagte Hörmann.

Gesundheitliche Ausfälle von Spitzenathleten sind nicht mehr so schnell kompensierbar wie früher, als hinter Jens Weißflog ein Dieter Thoma stand, hinter Axel Teichmann ein Tobias Angerer, hinter Katja Seizinger eine Hilde Gerg oder hinter Magdalena Neuner eine Kati Wilhelm. »Deshalb sind seriöse Prognosen nicht möglich«, so Hörmann. Sichere Medaillen gibt es nicht mehr.

Die Kritik an seiner Spitzensportförderreform, wonach diese zu einer Konzentration auf nur wenige Sportarten führe, in denen noch Medaillenpotenzial erkannt wird, ist ohnehin längst überholt. Vorbei die Zeiten, in denen deutsche Snowboarderinnen in der Halfpipe und Ski-Freestylerinnen auf der Buckelpiste (1998) Medaillen holten. Sie alle fahren wie die Shorttracker der Weltspitze mittlerweile weit hinterher. Verwerflich ist das nicht. Die Deutschen müssen ja nicht überall spitze sein, auch wenn es die Eiskunstläufer noch mal versuchen, in dem sie mit dem französischen Paarläufer Bruno Massot die einzige Medaillenhoffnung für Pyeongchang gerade einbürgern.

Die Eisschnellläufer setzen bei ihrer Armut an vielversprechenden Talenten noch immer auf die 45-jährige Claudia Pechstein. Patrick Beckert holte zwar WM-Bronze, profitierte aber davon, dass beim WM-Rennen nur zwei Niederländer über 10 000 Meter antreten dürfen. Bei Olympia sind es drei, die das Podium vermutlich wieder komplett blockieren werden.

Ähnlich dünn ist die Decke bei den Alpinen, die mit einmal Bronze durch Altmeister Felix Neureuther erreichten. Der Rücktritt von Maria Höfl-Riesch hat bei den Frauen ein nach drei Jahren noch immer nicht gestopftes Loch gerissen. Da freute sich der DSV doppelt über den Medaillenregen von Biathleten und Kombinierern. »Die übergroße Erwartungshaltung für Olympia ist das einzig Negative, was wir daraus mitnehmen«, sagte Sportdirektorin Karin Orgeldinger. »Dieses Ergebnis dürfen wir tunlichst nicht auf die nächste Saison projizieren.«

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