Radikal und gewaltfrei

Dennis de Lange stellt die Tolstojaner der Niederlande vor

  • Adele Jung
  • Lesedauer: 2 Min.

»Im Grunde ist ein jeder Mensch ein wenig Tolstojaner«, heißt es im Vorwort. Naja, ob das stimmt? Lew Tolstoi war schließlich ein Geistesriese, schuf Werke der Weltliteratur. Sein »Krieg und Frieden« ergreift heutige Leser ebenso wie zu seiner Zeit. Weil die Zeiten sich nicht sehr verändert haben. Am Lebensabend ist der Russe tief gläubig gewesen, wurde von der Kirche exkommuniziert, inspirierte aber Gandhi. Trotz des stutzig machenden Eingangssatzes liest man begierig weiter. Denn hier wird eine Gemeinschaft vorgestellt, von der man nie etwas hörte.

Dennis de Lange: Die Revolution bist Du! Der Tolstojanismus als soziale Bewegung in den Niederlanden.
Graswurzelrevolution. 177 S., br., 16,90 €.

Es war einmal ... Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in den Niederlanden begeisterte Tolstojaner und Tolstojanerinnen, die sich »Christen-Anarchisten« nannten. Sie waren gut vernetzt und kämpften - gemäß dem Motto ihres Idols - gewaltfrei gegen Militarismus und kapitalistische Ausbeutung, stritten nicht weniger vehement gegen Alkohol, Nikotin und Tierversuche. Sie waren Vegetarier und praktizierten die freie Ehe, ohne es sexuell zu übertreiben.

Trotz oder wegen ihrer radikalen Ansichten waren sie dem Parteisozialismus suspekt. Ihre Vision einer besseren und gerechten Gesellschaft versuchten sie per Aktion bereits in der Gegenwart zu realisieren. So leisteten sie sozial-kulturelle Stadtteilarbeit in Amsterdam und in ihren Siedlungen wie der Kolonie der Internationalen Bruderschaft. Mittels libertärer Pädagogik, die sie z. B. in der Humanitären Schule in Blaricum praktizierten, wollten auch sie quasi den »Neuen Menschen« erschaffen, der sich freilich gänzlich von dem im Sowjetkommunismus propagierten unterschied.

Dennis de Lange stellt Protagonisten und Projekte vor, darunter Van Eeden und seine »Internationale Schule für Philosophie« in Amersfoort. Lesern dieser Zeitung eher bekannt dürfte der Vorsitzende der Internationalen Transportarbeitergewerkschaft, Edo Fimmen, sein, der gegen Franco und Hitler und mit Willi Münzenberg in der Roten Hilfe kämpfte und 1942 im mexikanischen Exil starb. Ein interessantes Buch.

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