Direkt aus der Psychiatrie in den Kosovo abgeschoben

Linksfraktion im Hessischen Landtag kritisiert Tabubrüche in der Praxis

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Während der Bundestag im fernen Berlin am Donnerstag grünes Licht für ein »Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht« und damit für überfallartige Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber ohne vorherige Ankündigung beschloss, debattierte der Hessische Landtag am Donnerstag auf Antrag der Linksfraktion praxisnah über konkrete Fälle solcher Abschiebungen aus dem Schulunterricht und der Psychiatrie heraus.

Anlass für die Aktuelle Stunde war das Schicksal eines 32-jährigen Familienvaters, der sich wegen einer schweren Depression im Universitätsklinikum Gießen in stationärer Behandlung befand. Der Kosovare aus eine Roma-Familie sollte nach Medienberichten bei einem persönlichen Termin mit der Ausländerbehörde in der vergangenen Woche die Kostenübernahme für seine Behandlung klären. In den Amtsstuben wurde er dann von dort wartenden Polizeibeamten empfangen, die den ausreisepflichtigen Roma festnahmen und zum Flughafen München fuhren, wo er unverzüglich in Richtung Kosovo abgeschoben wurde.

»Der Kosovo-Krieg, wo er als Zwangsrekrutierter erschossene albanische Zivilisten begraben musste, hatte ihn schwer traumatisiert«, so Linksfraktionschefin Janine Wissler. Den Vorwand, er müsse Formulare im Amt persönlich unterschreiben, habe sich das Landratsamt des Wetteraukreises offenbar ausgedacht, um ihn und die ihn begleitende Sozialarbeiterin aus der Klinik zu locken, so Wissler. »Tatsächlich gab es weder Formulare, die auszufüllen waren, noch das versprochene Taschengeld.«

Nach der Abschiebung einer 16-jährigen Schülerin im Wetteraukreis aus dem Klassenzimmer heraus Ende 2016 sei dies ein »erneuter Tabubruch in der Abschiebepraxis Hessens«, so Wissler. »Abschiebungen aus dem Krankenhaus sind unabhängig von der aufenthaltsrechtlichen Situation zutiefst inhuman und inakzeptabel, erst Recht, wenn es sich um einen suizidgefährdeten Patienten handelt«. Wenn das Landratsamt allen Ernstes behaupte, der Mann sei doch freiwillig zur Ausländerbehörde gekommen, dann sei dies das »zynisch«.

Als »besonders abstrus« bezeichnete Wissler den Vorwurf der Behörde, der behandelnde Arzt und Gießener Psychiatriedirektor Professor Bernd Gallhofer habe durch ein Gutachten die Abschiebung zu verhindern versucht und damit »in Form einer Beihilfe« gegen das Aufenthaltsgesetz verstoßen. Es sei »völlig inakzeptabel«, dass das Landratsamt ihn nun auch noch mit Strafanzeigen zu kriminalisieren versuche. Offenbar wolle man einen Kritiker mundtot machen. »Statt Unsummen und personelle Ressourcen in eine inhumane Abschiebelogistik zu stecken, sollten wir in eine gute und schnelle Integration der hier lebenden Geflüchteten investieren«, so Wissler.

»Es gehört sich nicht, Menschen, deren gesundheitliche Situation schlecht ist und die sich in therapeutischer Behandlung befinden, abzuschieben«, erklärte die fraktionslose Abgeordnete Mürvet Öztürk, die 2015 aus Protest gegen die Asylpolitik der schwarz-grünen Landesregierung aus der Grünen-Fraktion ausgetreten war. »Abschiebungen sind mit erheblichen psychischen Belastungen verbunden, die gesundheitliche Probleme auf gravierende Weise verschlimmern können.« Schulen und Kliniken seien Schutzräume, aus denen heraus nicht abgeschoben werden solle.

Abgeordnete der schwarz-grünen Koalition warfen Wissler und ihrer Fraktion Populismus vor und beteuerten, alle Abschiebungen abgewiesener Asylbewerber erfolgten nach rechtsstaatlichen Grundsätzen und »nach Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten«. Der SPD-Abgeordnete Ernst-Ewald Roth hingegen meldete »Klärungsbedarf« im Falle des abgeschobenen 32-Jährigen an und sprach sich für einen »sorgsameren Umgang« und Schutz erkrankter Asylbewerber aus. »Ich hätte von der SPD erwartet, dass sie zum Rechtsstaat steht und sich hier auch klar zu dieser Frage bekennt«, erklärte Innenminister Peter Beuth (CDU). Die empörten Sozialdemokraten beantragten eiligst eine Einberufung des Ältestenrats und Sitzungsunterbrechung. Hinterher gaben sie sich versöhnt, als Beuth erklärte: »Ich hege keinen Zweifel, dass die Sozialdemokraten grundsätzlich zum Rechtsstaat stehen.«

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