Schwarzer Filz doppelt verneint

Sachsens Verfassungsgericht urteilt zu Biedenkopfs Tagebüchern

  • Hendrik Lasch, Leipzig
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine doppelte Verneinung ist im Deutschen, anders als etwa in slawischen Sprachen, nicht üblich. Wer dennoch mitteilt, jemand habe einen Auftrag »unter keinen Umständen an niemanden« erteilt, will seiner Beteuerung entweder sehr viel Nachdruck verleihen - oder aber bemänteln, dass er eigentlich das Gegenteil meint: Genau genommen, entspricht eine doppelte Verneinung in der deutschen Sprache schließlich einer Bejahung.

Derjenige, der eine Weisung angeblich »unter keinen Umständen an niemanden« erteilt hat, ist Stanislaw Tillich, CDU-Regierungschef in Sachsen. Bei dem in Rede stehenden Auftrag handelt es sich um die Beförderung eines Buchprojektes, das im Freistaat seit Herbst 2015 für Schlagzeilen und in der Regierungszentrale offenkundig für zunehmende Dünnhäutigkeit sorgt: die Publikation der Memoiren von Tillichs Vor-Vorgänger Kurt Biedenkopf (ebenfalls CDU).

In drei Bänden waren im Siedler-Verlag dessen Tagebücher aus der Zeit bis 1994 erschienen. Um die Notizen des »kleinen Königs« zu sichten und für eine Veröffentlichung vorzubereiten, hatte die Staatskanzlei satte 307 900 Euro an die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung überwiesen. Schon das ließ die Wogen hoch schlagen; die Opposition sah »Personenkult auf Kosten der Steuerzahler«, während die CDU das Projekt als »für die zukünftige sächsische Geschichtsschreibung bedeutsam« ansieht.

An Brisanz gewann die Affäre indes wegen der strittigen Rolle Tillichs. Glaubt man Biedenkopf, hat sein Nachfolger persönlich die Publikation befördert: Er dankte diesem im Vorwort des ersten Bandes dafür, diese »zu seiner Sache gemacht« zu haben, und ergänzte in einem Interview im Mai 2016, die Veröffentlichung sei »auf Tillichs Vorschlag« zum »Projekt des Freistaats« geworden. Die Freude darüber war zu dem Zeitpunkt freilich nicht mehr ungetrübt: Laut Biedenkopf gab es eine »Vereinbarung«, weitere drei Bände über die Zeit bis 2002 ebenfalls zu fördern, wovon man »ohne Begründung« abgerückt sei.

Die Staatskanzlei wiederum sucht den Eindruck einer Filzaffäre zu entkräften. Auf Nachfrage des Linksabgeordneten André Schollbach hieß es freilich zunächst nur lapidar, der Wunsch Biedenkopfs nach Publikation der Erinnerungen sei »Herrn Ministerpräsident Tillich bekannt« gewesen - Punkt, aus. Schollbach, der schon im Dresdner Stadtrat für seinen sportlichen Ehrgeiz bei der Jagd nach präzisen Auskünften aus Verwaltungsstuben berüchtigt war, fühlte sich nicht ernst genommen und klagte beim sächsischen Verfassungsgericht.

Die Richter wiesen Schollbachs Klage jetzt indes zurück und begründeten das mit einer nachträglichen, »berichtigten« Antwort. Dort war von einem »Einvernehmen« Biedenkopfs und Tillichs die Rede; letzterer habe die konkrete Ausführung aber an seine Mitarbeiter delegiert und damit also »nicht zu seiner Sache« gemacht. Die Frage sei damit, wie von der Verfassung gefordert, vollständig beantwortet, sagte Gerichtspräsidentin Birgit Munz. Schollbach kommentierte, das Gericht habe »mit großer Nachsicht gegenüber dem Ministerpräsidenten« geurteilt. Allerdings stehe weiter »Aussage gegen Aussage«.

Ob er nach insgesamt 17 Fragen in der Causa noch einmal versucht, den Widerspruch zu erhellen, ist offen: »Ich muss überlegen, ob es lohnt, die Frage zu vertiefen.« In der Staatskanzlei dürfte man das Ergebnis interessiert abwarten. Ihr Chef Fritz Jaeckel (CDU) hatte erst in der vergangenen Woche versucht, Schollbachs Zweifel endgültig auszuräumen - mit der zitierten doppelten Verneinung. Der LINK-Politiker räumt ein: »Wie es wirklich gewesen ist, wissen nur zwei Männer.« Er beharrt aber auch darauf, »Licht ins Dunkel bringen« zu wollen. Die Affäre scheint, um mit Jaeckel zu sprechen, unter keinen Umständen nicht ausgestanden.

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