Übergriffe waren keine Ausnahme

Kriminologe Christian Pfeiffer soll die Vorgänge in der Bundeswehr untersuchen

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Nach den jüngsten Skandalen um sexuelle Belästigung und entwürdigende Aufnahmerituale hat die Bundeswehr Missstände in den eigenen Reihen untersucht. Verstöße seien vor allem »infanteristisch geprägten Verbänden und in Teilen Ausbildungseinrichtungen« zuzuordnen, heißt es in dem Bericht von Generalinspekteur Volker Wieker an den Verteidigungsausschuss des Bundestages, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Das Meldesystem weist demzufolge Defizite auf. Laut Wieker sind bei der internen Analyse weitere 40 Hinweise allein bei der »Ansprechstelle Diskriminierung und Gewalt in der Bundeswehr« eingegangen. Zivile Mitarbeiter beklagten vor allem Mobbing, Soldatinnen und Soldaten sexuelle Übergriffe. Dem Bericht zufolge wurden bereits bekannte Verdachtsfälle der beiden vergangenen Jahre sowie neue Fälle analysiert.

Besonders junge Soldaten von Kampfverbänden entwickelten demnach ein Eigenleben. Die Verdachtsfälle betreffen vor allem Mannschaftssoldaten und Unteroffiziere zwischen 20 und 30 Jahren.

In der Elite-Ausbildungskaserne in Pfullendorf sei es zu »gravierenden Verstößen« gegen Grundsätze der Bundeswehr gekommen. Klare Kommunikationsstrukturen und ein kameradschaftlicher Umgang seien durch »informelle Strukturen und übersteigerten Korpsgeist« untergraben worden. Fragwürdige Ausbildungsmethoden seien geändert worden, schreibt Wieker in dem Bericht. Ausbilder seien versetzt, fünf Soldaten fristlos aus der Truppe entlassen worden.

Soldaten aus Pfullendorf hatten Ende Januar von demütigenden Aufnahmeritualen berichtet. Zudem sollen Ausbilder untergebene Soldatinnen zum Tanz an der Stange gezwungen und sie im Intimbereich abgetastet haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung.

Ein weiterer Skandal kam vergangene Woche bei den Gebirgsjägern in Bad Reichenhall ans Licht. Ein Obergefreiter soll sexuell belästigt und genötigt worden sein. Die Staatsanwaltschaft Traunstein ermittelt nicht nur wegen Mobbings und »sexualbezogener Verfehlungen«, sondern auch wegen Volksverhetzung und Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz.

Als Konsequenz soll das Meldewesen bei der Bundeswehr gestrafft, die Dienstaufsicht sowie die Ausbildung verbessert werden, schreibt Wieker. In einer neuen Datenbank sollen Hinweise künftig effektiver zusammengeführt werden. Ein neues Referat im Verteidigungsministerium soll die Angelegenheiten der inneren Lage bündeln. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will mit Führungskräften auf einem Workshop über die innere Lage reden.

»Die Bundeswehr benötigt Menschen mit dem richtigen Reflektionsvermögen und Verantwortungsgefühl«, sagte die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen, Agnieszka Brugger. »Wer andere entwürdigt, schikaniert und belästigt, der zeigt keine Stärke, sondern offenbart seine eigene Schwäche und disqualifiziert sich für diese Aufgabe.«

Der Bericht betont auch die Bedeutung eines kritischen »Blicks von außen«. Nun soll der Kriminologe Christian Pfeiffer die innere Lage der Truppe untersuchen. Er solle vorhandene Daten analysieren, mögliche Schwachstellen identifizieren und helfen, Vorschläge zur Schulung und Weiterbildung von Fachpersonal zu entwickeln.

Christine Buchholz, Linksparteipolitikerin und Mitglied im Verteidigungsausschuss, begrüßt den Auftrag an Pfeiffer. Am Grundproblem ändere das aber nichts, sagte sie dem »Tagesspiegel«. Die bisherigen Vorgänge seien keine Betriebsunfälle, sondern Symptom, so die Bundestagsabgeordnete. dpa/nd

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