Humanistischer Verband veröffentlicht 33 Thesen
Benachteiligung konfessionsfreier Menschen wurde mit einer Aktion vor dem Abgeordnetenhaus kritisiert
Einen Hammer braucht Frieder Otto Wolf nicht, um seine Thesen publik zu machen. Vor dem Abgeordnetenhaus entrollt der Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschland an diesem Montag ein Plakat, gemeinsam mit Präsidiumsmitglied Ines Scheibe hält er es an die Wand des Landesparlaments, direkt unter das Schild mit dem Wappenbär. »Reformation 2017« steht oben auf dem Plakat und darunter »33 Thesen gegen die Benachteiligung konfessionsfreier Menschen in Deutschland«.
Mit einem Hammer soll der Reformator Martin Luther der Überlieferung nach 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg genagelt haben. Die im Humanistischen Verband organisierten Atheisten und Agnostiker nutzen 500 Jahre später lieber das Internet, um zum Reformationsjubiläum auf sich aufmerksam zu machen. Seit Jahresbeginn haben sie in rund einem Dutzend deutscher Städte ihre »33 Thesen« öffentlich präsentiert, die Fotos davon stellen sie anschließend ins Netz.
Wer keiner Religionsgemeinschaft angehört, hat nach Ansicht des Verbandes auch 2017 oft schlechtere Karten. Wolf nennt Krankenschwestern oder Erzieher, die in Regionen Arbeit suchen, in denen die meisten Krankenhäuser oder Kitas in kirchlicher Trägerschaft sind. Auch wenn diese großteils vom Staat finanziert würden, werde von Beschäftigten häufig Kirchenmitgliedschaft verlangt.
Für Eltern, die ihre Kinder nicht religiös erziehen lassen wollten, gebe es in Deutschland zu wenig Angebote passender Einrichtungen. In den Thesen kritisieren die Humanisten auch die aus ihrer Sicht zu starke Präsenz der Kirchen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, und sie fordern, den staatlichen Kirchensteuereinzug abzuschaffen.
Der Humanistische Verband ist eine Weltanschauungsgemeinschaft. Ihre geistigen Wurzeln sehen die Humanisten in der Antike - Philosophen wie Socrates, Epikur oder Lukrez etwa - in der Renaissance und in den Ideen der europäischen Aufklärung. Deutschlandweit hat der Verband 21 000 Mitglieder - nicht gerade viel im Vergleich zu den Kirchen. Präsident Wolf, Honorar-Professor an der Freien Universität Berlin, glaubt aber, für deutlich mehr nicht-religiöse Menschen im Lande sprechen zu können. »Der entscheidende Punkt ist eigentlich, dass man seine Lebenseinstellung, seine Kultur nicht auf die Gotteshypothese aufbaut«, sagt der 74 Jahre alte Philosoph. Er schätzt, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung humanistisch orientiert seien.
Die Kirchen verlieren im Lande Luthers seit Jahrzehnten Mitglieder: Derzeit gibt es in Deutschland noch etwa 29 Prozent Katholiken und 27 Prozent Protestanten in Evangelischen Landeskirchen (EKD). Jeweils rund zwei Prozent der Bevölkerung gehören nach Angaben des Religionswissenschaftlichen Medien- und Informationsdienstes (remid) evangelischen Freikirchen oder orthodoxen Kirchen an, knapp ein Drittel ist konfessionslos. Von den Katholiken wiederum gehen laut Deutscher Bischofskonferenz an einem Durchschnittssonntag nur 10,4 Prozent in den Gottesdienst, bei den Protestanten noch viel weniger.
Für den Philosophen Michael Schmidt-Salomon ist es aber nicht verwunderlich, dass die christliche Lehre immer weniger Menschen überzeugt. »Denn das, was uns die Kirchen zu glauben abverlangen, passt schon lange nicht mehr zu dem, was wir über die Welt herausgefunden haben. Es bedarf schon einer sehr mühsamen theologischen Exegese, um die Welt des Glaubens mit der Welt des Wissens halbwegs in Einklang zu bringen, etwa die Schöpfungsgeschichte mit der Evolutionstheorie«, sagt der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung.
Die gemeinnützige Stiftung versteht sich als »Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung«. Schmidt-Salomon kritisiert, dass die öffentliche Hand in Deutschland die »Luther-Dekade« mit mehr als 250 Millionen Euro aus allgemeinen Steuergeldern finanziere. »Zwar kann man Luther zugutehalten, dass er der katholischen Kirche die Stirn geboten und sich Verdienste um die deutsche Sprache erworben hat, jedoch war er zugleich einer der größten Hassprediger, den das Christentum hervorgebracht hat«, sagt er. Der »weitgehend unkritischen Feier Martin Luthers« wolle die Stiftung Aktionen entgegensetzen. Was genau, verrät er nicht.
Auch der Humanistische Verband will seine »33 Thesen« im Laufe des Jahres noch häufiger präsentieren. dpa
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