Wenn einem beim Hören das Sehen vergeht

Salzburger Osterfestspiele: Wagners »Walküre« mit der Sächsischen Staatskapelle und Christian Thielemann

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Ring des Nibelungen ist ein Schlüsselwerk. Seine Rezeptionsgeschichte von zentraler Bedeutung für das Musiktheater und darüber hinaus. Da gibt es einen magisch abstrahierenden Neuanfang mit dem sich Wieland Wagner gegen die Nazi-Ästhetik stellte, da lieferte Joachim Herz einen gesellschaftskritischen Ansatz in Leipzig und kurz darauf (und inhaltlich nahe) Patrice Chéreau 1976 den »Jahrhundertring« in Bayreuth. Einer wie Frank Castorf bringt in diesem Jahr zum letzen Mal auch mit seiner Version die Gemüter in Wallung. Die (szenischen) Ringdeutungen, mit denen sich Herbert von Karajan auch als Regisseur versuchte, fallen gemeinhin nicht ins Gewicht, wenn man die Geschichte der Deutungen der Tetralogie Revue passieren lässt.

Dass seine »Walküre« jetzt gleichwohl wiederbelebt wurde, ist denn auch nicht ihrer Bedeutung im Allgemeinen, sondern der für Salzburg im Besonderen zu verdanken. Vor 50 Jahren begründete der in jeder Hinsicht ehrgeizige Karajan damit an der Salzach die Osterfestspiele für sich und die Berliner Philharmoniker. Die blieben auch nach seinem Tod, bis sie sich nach Baden-Baden abwerben ließen. Da hieß es in Richtung Dresden und Sächsische Staatskapelle: Thielemann übernehmen Sie! In den fünf Jahren seither hat es der in Sachen Wagner und Strauss nicht zu Übertreffende mit seiner Kapelle beim verwöhnten (und betuchten) Osterpublikum zum Liebling gebracht. Mit Recht. Zumindest, wenn er einen so referenzverdächtigen Wagner hinlegt, wie am vergangenen Wochenende. Das ist die andere Exzellenzvariante neben Bayreuth. Im Großen Festspielhaus entfaltet sich die Musik aus dem offenen Graben zu ganzer Pracht und Dramatik. Thielemann ist der Richtige, einen so natürlichen Zusammenklang mit den Sängern herzustellen, dass ein kraftvoll frischer Wotan wie Vitalj Kowaljow fast flüstern darf, wenn er traurig ist, und ein gestandener Siegmund wie Peter Seiffert es durchaus drauf anlegen kann, die Wälse-Rufe so lange zu halten, wie es irgend geht, und dennoch alles ganz selbstverständlich wirkt. Klar, dass Anja Harteros hier ein Traumdebüt als Sieglinde hinlegt und Anja Kampe fulminant als Brünnhilde auftrumpft und die famose Christa Mayer und der allseits geschätzte Georg Zeppenfeld als Fricka und Hunding abräumen. Mit den handverlesenen Walküren ist das musikalisch wirklich allererste Festspielsahne!

Szenisch bleibt die Sache mehr als fragwürdig. Für die Inszenierung zeichnet Vera Nemirova verantwortlich und damit eine ehrgeizige Regisseurin, deren Zugänge man nicht in jedem Fall teilen muss, die aber immer einen hat. Diesmal beschränkt sie sich auf den personellen Teil einer »Re-Kreation«, also der Wiederbelegung oder Nachempfindung oder der Implementierung von etwas eigenem in die Grundidee eines anderen. Das Risiko, dass man einen Ring von ihr, nach dieser »rekreierten« Walküre nicht würde sehen wollen, besteht freilich nur deshalb nicht, weil sie in Frankfurt am Main schon einen Ring gemacht hat. In der Salzburger »Walküre« bestückte sie jetzt eine leicht variable Ellipse, die Günther Schneider-Siemssen einst erfunden hat und jetzt von Jens Kilian nachgebaut wurde, mit dem Personal der Walküre. Zumindest im zweiten und dritten Aufzug. Im ersten Akt feiert die Deko-Symmetrie mit einer Esche Urstände, die aus dem Graben zu wachsen scheint. Das Große Festspielhaus ist damit voll - was für das Maß an Re-Kreation spätestens dann zutrifft, wenn die Walküren bei ihrem aufregenden Ritt zu Standbildern an der Rampe erstarren und ein paar Statisten im Hintergrund wie aufgescheuchte Hühner herumrennen. Dass es manch einem Dirigenten gefällt, wenn er die Sänger so an der Blickkandare hat, mag man verstehen. Ansonsten würde man aber doch lieber über eigene Ideen streiten. Wenn es sein muss, mit Karajan-CD. Besser noch mit Thielemann live.

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