Datenarmut in Sachen Superreichtum

»Die Deutschen besitzen Billionen.« Wer? Über die Verteilung von hohen Einkommen und Vermögen ist zu wenig bekannt. Daran ist auch die Politik schuld

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 8 Min.

»Die Menschen in Deutschland« besitzen, so meldet es jedenfalls die Deutsche Presse-Agentur, »so viel Geldvermögen wie nie zuvor«. In Wahrheit, das ist inzwischen hinlänglich bekannt, dürfte das nicht auf eine besonders große Zahl der »Menschen in Deutschland« zutreffen, sonst müsste man nicht so viel über materielle Armut reden. Und so liest sich auch eine andere Korrespondenz im Ticker etwas schief: »Die Deutschen parken hunderte Millionen Euro auf Sparkonten.« Die Deutschen?

Laut Bundesbank ist das Geldvermögen der privaten Haushalte Ende des vergangenen Jahres auf 5,586 Billionen Euro gestiegen. Ein Zuwachs von 98 Milliarden Euro gegenüber dem dritten Quartal 2016, so die Bundesbank. Riesige Summen. Und dabei sind Immobilien oder Kunstwerke in dieser Statistik noch nicht einmal enthalten. Erklärt wird das Plus vor allem mit gestiegenen Börsenkursen - Bewertungsgewinne bei Aktien und Fondsanteilen machen allein 53 Milliarden Euro aus. Um rund 45 Milliarden Euro wuchsen Bargeldbestände und Einlagen etwa auf Girokonten.

Wer besitzt denn nun was? Im Durchschnitt hätte den Zahlen zufolge jeder Bundesbürger etwas mehr als 67.000 Euro auf der hohen Kante oder in Aktien. Ein Sparbüchlein oder ein paar Reserven auf dem Konto tragen unter dem Strich natürlich auch zu den Gesamtzahlen bei, welche die Bundesbank jetzt wieder veröffentlicht hat. Aber entscheidend ist die Verteilung – vor allem der größeren Batzen. Und da seit einiger Zeit wieder verstärkt über Ungleichheit gesprochen wird, lohnt ein genauer Blick auf die vorliegenden Daten.

Anekdotisch gesammelte Evidenz

Das sind nicht besonders viele - und hier geht das Problem schon los. Während sich der gerade veröffentlichte Armuts- und Reichtumsbericht der Regierung ausführlich über die statistische Welt der Geringverdiener, Erwerbslosen und von Entbehrungen Betroffenen auslässt, weil es dazu öffentliche Zahlen gibt, ist vor allem über die Superreichen nur wenig bekannt. Grund dafür ist nicht zuletzt die Aussetzung der Vermögensteuer, seither, so heißt es in einer den Armutsbericht begleitenden Studie, gibt es keine amtlichen Vermögenserhebungen mehr. »Derzeit beruhen sämtliche Erkenntnisse über die Vermögensverteilung innerhalb des reichsten Zehntels der Gesellschaft allein auf Befragungsdaten und anekdotisch gesammelter Evidenz.«

Das ist deshalb von Gewicht, weil sich »das Einkommen in Deutschland in den 1990er-Jahren und in der Folgezeit zunehmend am oberen Rand der Einkommensverteilung konzentriert«, wie es in dem Regierungsbericht heißt. Die vermögensstärksten 10 Prozent der Haushalte hierzulande besitzen zudem mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens. Dass es sich bei materiellem Reichtum um eine politisch auch gewollte Black Box handelt, ist immer wieder beklagt worden. Mit dem Anschwellen der Verteilungsdebatte wird nun auch verstärkt versucht, diese Lücke in der öffentlichen Wahrnehmung zu schließen.

Im Zuge der Erstellung des aktuellen Armutsberichts etwa wurde eine »Gruppe von Hochvermögenden« befragt, die ein Geldvermögen von mindestens einer Million Euro aufweisen - also Menschen, »die in der herkömmlichen Umfrageforschung bisher nicht oder kaum erfasst« wurden.

Verallgemeinerungen erlaubt diese Studie nicht, die Stichprobe ist mit 130 Befragten zu klein. Das Forschungsprojekt der Universität Potsdam und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung erlaube aber, so die Autoren, »erste Tendenzaussagen« über die Zusammensetzung der Superreichen, genauere Vermögensdaten und über die Frage, wo der ganze Reichtum herkommt - vor allem aus Erbschaften, Schenkungen und durch Unternehmertätigkeit. Die Hochvermögenden erklärten zudem, »dass die Steuerlast hoch genug ist. 65 Prozent sind eher bereit, (mehr) zu spenden«.

Je höher das Vermögen, je näher am politischen Einfluss

Sprechen sich die Hochvermögenden nur gegen steuerliche Umverteilung aus - oder setzen sie auch Hebel in Bewegung, damit es bei der gegenwärtigen Rechtslage bleibt? Das kann auch die Studie nicht beantworten, allerdings wurde das Thema nicht ausgespart. »Je höher das Vermögen, umso häufiger bestehen Kontakte zu Personen mit Einfluss in Wirtschaft und Politik«, heißt es. Die Autoren haben deshalb neben dem »materiellen Reichtum«, der sich auf das bloße Vorhandensein von Vermögen bezieht, noch einen weiteren Reichtumsbegriff formuliert: Wenn das Vermögen die Möglichkeit verschafft, »gesellschaftliche Prozesse zu beeinflussen«, spreche man zusätzlich von der Zugehörigkeit zur »materiellen Elite«.

Auch der Armutsbericht befasst sich mit dem Reichtum, allerdings auf vergleichsweise wenigen Seiten - was auch mit der schlechten Datenlage zu tun hat. Unterschieden wird in »Einkommensreichtum«, der Menschen mit Einkünften meint, die deutlich mehr als der Median der Nettoäquivalenzeinkommen beziehen. Darunter fallen je nach Berechnung dann auch schon Personen mit einem Einkommen von rund 3.500 Euro - insgesamt beziehen laut Sozio-oekonomischem Panel SOEP 8,2 Prozent »der Population« mehr als das Doppelte des Mittelwerts, das wären immerhin etwas über acht Millionen Menschen. 1995 waren es noch 6,1 Prozent. Mehr als das Dreifache des Mittelwerts bekamen 2014 etwa 1,6 Prozent »der Population«, sie bezogen mindestens rund 5.280 Euro. Auch deren Zahl ist leicht angestiegen. Andere Datengrundlagen kommen zu leicht anderen Ergebnissen, aber der Trend ist derselbe.

»Top-Nettovermögenden« und »Einkommensmillionäre«

Eine zweite Gruppe definiert der Armutsbericht als die »Top-Vermögenseinkommensbezieher« - also Personen, »deren Vermögenseinkommen 5.000 Euro oder mehr pro Jahr beträgt«, zum Beispiel aus Zinsen, Immobilien oder Wertpapieren. Ihr Anteil liegt »seit 1995 recht stabil bei 7 Prozent«. Eine dritte Gruppe sind die »Top-Nettovermögenden«, also jene, die mindestens eine halbe Million Euro besitzen.

Hier schlägt wieder das Problem der Datenarmut in Sachen Superreichtum durch: Analysen sind auf Stichprobenbefragungen angewiesen, die Haushalte über einer bestimmten Vermögensschwelle gar nicht mehr oder sehr unzureichend erfasst, weshalb gerade genauere Aussagen zu der Gruppe fehlen, auf die ein beträchtlicher Teil des Gesamtvermögens entfällt - die »Hochvermögenden«.

Der Anteil der Personen, deren individuelles Vermögen die Schwelle von 500.000 Euro überschreitet, lag 2012 bei 2,8 Prozent - das wären in Relation zu den aktuellen Bevölkerungszahlen 2,32 Millionen Menschen. Zum Vermögen zählen hier unter anderen Geld, Betriebsanteile, Sachwerte und Immobilien abzüglich Schulden.

Schaut man sich an, wie viele Menschen mehr als eine Millionen Euro im Jahr an Einkünften ausweisen, wobei also nur steuerpflichtige Einkünfte registriert werden, kann man Aussagen über die Gruppe der »Einkommensmillionäre« treffen. Deren Zahl lag 2012 bei knapp 16.500 Personen, die durchschnittlich 2,77 Millionen Euro Einkünfte ausgewiesen haben, insgesamt über 45 Milliarden Euro. Aber es geht noch etwas genauer.

Blick auf die oberen Vermögensspitzen

Auf Grundlage der »The World Wealth and Income Database«, einem Forschungs- und Datenprojekt, an dem unter anderem der unlängst verstorbene britische Ökonom Anthony Atkinson und sein französischer Kollege Thomas Piketty mitwirkten, kann man einen Blick auf die oberen Vermögensspitzen werfen: Die obersten 0,01 Prozent der Einkommen machten 2012 einen Anteil am Gesamteinkommen von 1,87 Prozent aus - im Schnitt wurden hier Einkünfte angezeigt die über 7 Millionen Euro im Jahr lagen. Sie gehören zum obersten 1 Prozent, das einen Anteil am Gesamteinkommen von 11,42 Prozent ausmacht - im Schnitt werden Einkünfte von etwas über 400.000 Euro erzielt.

»Das Einkommen in Deutschland konzentrierte sich in den 1990er Jahren und in der Folgezeit bis zur Finanzkrise zunehmend am oberen Rand der Einkommensverteilung«, heißt es im Armutsbericht über die Reichen. Betrachtet man die obersten zehn Prozent, hat die Krise einkommensmäßig kaum Auswirkungen gehabt: »Der Einkommensanteil blieb trotz schärfster Rezession seit der Nachkriegszeit bei etwa 37 Prozent.« Das war in »der obersten Spitze« anders, hier setzen sich die Einkünfte größtenteils aus Unternehmenstätigkeit sowie aus hohen Dividenden- und Zinseinkommen zusammen - und diese brachen 2009 merklich ein.

Wie Politik die Datengrundlage verschlechtert hat

Trotz einiger Verbesserung in den letzten Jahren, resümiert das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in einer begleitenden Studie zum Armutsbericht, »ist die Datengrundlage über die reichsten Haushalte in Deutschland nach wie vor dürftig«.

Das hat nicht zuletzt etwas mit den politisch veränderbaren Regeln zu tun. So ist die Erbschaft- und Schenkungsteuer in der derzeitigen Form »wenig geeignet, um Aussagen über höchste Einkommen und Vermögen zu treffen«. Die Einführung der so genannten Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge hat 2009 zusätzlich »den Erkenntniswert der Lohn- und Einkommensteuerstatistik bzw. des Taxpayer Panels im Hinblick auf höchste Einkommen deutlich reduziert«.

Experten empfehlen deshalb unter anderem, eine bundeseinheitliche Statistik mit den administrativen Daten der kommunalen Grundsteuer einzuführen - Grund- und Immobilienvermögen stellen den überwiegenden Teil des gesamten Privatvermögens hierzulande. Auch die Reintegration der Abgeltungsteuer in die Einkommensteuer würde das gesellschaftliche Wissen um Reichtum verbessern - und damit die Grundlagen für mögliche Umverteilungsschritte. Zudem könnte ein Finanzkataster dazu beitragen, in dem Eigentümerschaft und Vermögenswerte für Finanzprodukte erfasst wird. Wobei all dies natürlich auf politischen Widerstand stoßen dürfte.

So wie die Wiedererhebung der Vermögenssteuer – die zwar immer wieder diskutiert wird, dann aber doch nicht vorankommt. Oft werden dafür Gründe genannt, die auf die angeblichen Schwierigkeiten der rechtskonformen Ausgestaltung einer solchen Abgabe verweisen. In Sachen öffentliches Wissen über Reichtum könnte man aber einmal anders denken: »Das Ob einer Vermögensteuer ist unter dem Gesichtspunkt der Berichtslegung allerdings deutlich wichtiger als das Wie«, sagt das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Bereits eine Vermögensteuer von 0 Prozent, durch die Vermögenswerte lediglich erfasst, aber nicht besteuert würden, wäre »wissenschaftlich von hohem Erkenntniswert«. Und politisch ebenso. Es muss ja nicht bei der Null bleiben.

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