Monatelange Wartezeiten werden verkürzt

Fragen & Antworten: Ab 1. April 2017 bessere Versorgung psychisch Kranker

  • Lesedauer: 3 Min.

Psychische Störungen, eine Volkskrankheit? Etwa ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland leidet übers Jahr gesehen an mindestens einer psychischen Störung, so eine Untersuchung des Robert-Koch-Instituts. Die Bandbreite reicht von Angst- und Schlafstörungen über Depressionen und Demenz bis zu Alkohol- oder Magersucht.

Doch auf der Suche nach einem Psychotherapeuten wird man allzu oft am Telefon vom Anrufbeantworter abgespeist - auch in dringenden Fällen, in denen sich der Patient mit Tötungsgedanken quält. Hat man endlich einen Therapeuten erreicht, wartet man erneut häufig monatelang auf einen Behandlungstermin. Nunmehr wird vom 1. April 2017 das Leistungsangebot für psychisch Kranke deutlich verbessert. Dazu Fragen & Antworten.

Was ändert sich für Patienten?

Kern der geänderten Psychotherapierichtlinie ist die Einführung einer Sprechstunde. Psychotherapeuten müssen demnach pro Woche mindestens zwei Stunden (4 Einheiten zu je 25 Minuten plus Pause) für Sprechstunden zur Verfügung stehen. Für eine Sprechstunde können Termine vereinbart werden. Sie kann aber auch als offene Sprechstunde ohne Terminabsprache angeboten werden. Erwachsene können bis zu sechsmal 25-minütige Sprechstundentermine bekommen, Kinder und Jugendliche bis zu zehnmal.

Was verbessert sich noch?

Psychotherapeutische Praxen müssen mindestens 200 Minuten in der Woche telefonisch erreichbar sein. Auch diese Zeit muss in Einheiten von mindestens 25 Minuten angeboten werden. Der Psychotherapeut muss diesen »Telefondienst« nicht persönlich leisten, sondern kann dafür auch Praxispersonal oder einen Dienstleister einsetzen. Im Prinzip kann am Telefon ein Termin für ein erstes Gespräch vereinbart werden. Möglicherweise kann hier auch schon eine gewisse Dringlichkeit für einen Sprechstundentermin festgestellt werden.

Wie ist mit einem Notfall umzugehen?

In der Sprechstunde kann geklärt werden, ob in solchen dringenden Fällen eine sogenannte Akutbehandlung erforderlich ist. In diesem Fall kann ohne langes Antragsverfahren mit der Krankenkasse rasch eine Behandlung des Patienten begonnen werden. Sie kann bis zu 24-mal in Einheiten von 25-minütigen Einzelbehandlungen erfolgen. Mit einer Akutbehandlung soll verhindert werden, dass die psychische Erkrankung chronisch wird. Patienten sollen also kurzfristig stabilisiert werden.

Und wenn es dann immer noch keinen Termin beim Therapeuten gibt?

Dann gibt es noch seit gut einem Jahr die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die müssen vom 1. April 2017 an auch Termine in der psychotherapeutischen Sprechstunde vermitteln. Für die Vermittlung eines Sprechstundentermins ist keine Überweisung nötig. Wie bei anderen Fachärzten gilt auch hier: Der Termin muss innerhalb einer Woche vermittelt werden und darf nicht später als vier Wochen nach der Anfrage liegen. Klappt dies nicht, kann der Patient in die Ambulanz eines Krankenhauses gehen.

Was geschieht in der Sprechstunde?

Die Patienten können rasch erfahren, ob sie krank sind, ob sie eine Behandlung brauchen oder ob sie nur eine Krise haben, die auch anderweitig bewältigt werden kann - etwa durch Hilfsangebote, die nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, wie Selbsthilfe oder (Ehe-)Beratungsstellen.

Gibt es für dieses erweiterte Angebot mehr Psychotherapeutenpraxen?

Nach dem Gesundheitsreport 2017 der Techniker Krankenkasse stagniert der Anteil psychisch bedingter Fehlzeiten zur Zeit zwar. Im Schnitt entfallen 2,7 Fehltage je Erwerbsperson auf psychische Störungen. Aber im Jahr 2006 waren es noch 1,4 Fehltage. Dies entspricht einem Anstieg von 86 Prozent in zehn Jahren. Die Bundespsychotherapeutenkammer beklagt denn auch, es gebe mehr Bedarf als Praxen, und fordert endlich eine angemessene Bedarfsplanung in der Psychotherapie.

Kostet das erweiterte Angebot mehr?

Ja, aber wie viel, darüber streiten Ärzteschaft und Krankenkassen. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) argumentiert, die erweiterten Leistungen führten zu Mehreinnahmen der Psychotherapeuten von etwa 100 Millionen Euro. Im Übrigen sei bei durchschnittlich 23 durchgeführten Therapiestunden pro Psychotherapeut pro Woche »noch Luft nach oben«. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hält entgegen, das sei für diesen Mehraufwand zu wenig. dpa/nd

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