Eine nachvollziehbare Entscheidung

Georg Fülberth über Seehofers Ankündigung, nach 2018 bayerischer Ministerpräsident und CSU-Chef bleiben zu wollen

  • Georg Fülberth
  • Lesedauer: 4 Min.

Horst Seehofer will über 2018 hinaus bayerischer Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender bleiben. Jetzt hagelt es Spott. Ein Klischee wird bedient: noch so ein alter Mann, der nicht rechtzeitig aufhören könne. Und dies überdies aus kleinlichen Gründen: Er wolle einen Nachfolger Markus Söder ausbremsen. Dass man Politikern nichts glauben darf, bestätige sich auch jetzt: Seit 2013 hatte Seehofer immer wieder angekündigt, 2018 aufhören zu wollen. Mehr noch: Nach seiner schweren Herzerkrankung 2002 gab er ein Interview, in dem er in sich gekehrt wirkte und erklärte, es gebe Wichtigeres im Leben als die Politik. Heute zieht er immer wieder aufs Neue den Vorwurf auf sich, er sei unberechenbar.

Aber ein Psychogramm allein reicht nicht aus. Wer will, kann auch sagen, Seehofer handele verantwortungsbewusst. Hätte er jetzt hingeworfen oder auch nur bekräftigt, er stehe 2018 nicht mehr zur Verfügung, wäre ein ruinöser Nachfolgekampf in der CSU ausgebrochen, der sie und die Schwesterpartei bei der Bundestagswahl 2017 behindert hätte. Schlimmer noch: 2008 hatte sie in Bayern die absolute Mehrheit verloren und musste mit der FDP koalieren - nach ihren traditionellen Begriffen eine Schmach. Vorangegangen waren Querelen um die Nachfolge von Edmund Stoiber, aus denen Seehofer als Sieger hervorging, aber auch für die Zukunft gelernt hat.

Dass man sich seine Nachfolge derzeit nur noch als chaotisch vorstellen kann, lässt sich ihm anlasten: Er habe nicht rechtzeitig für einen geordneten Übergang gesorgt, aus purer Abneigung gegen Söder. Sein Pflichtverteidiger wird einwenden: Durchaus habe er ordentlich sein Haus bestellen wollen und dafür Ilse Aigner aufgebaut. Für diese gab es gute Gründe: Kompetenz, Sachlichkeit und Beliebtheit. Und dass ausgerechnet ein Repräsentant des politischen Patriarchats sich für eine Frau an der Spitze von Partei und Bayern wünschte, sollte man ihm doch nicht vorhalten. Erst als Aigner innerhalb der CSU ins Hintertreffen geriet - daran mag auch der immer noch ausgeprägte CSU-Machismo mitgewirkt haben -, habe Seehofer sich zum Weitermachen entschlossen.

Wer Söder für einen geeigneten Nachfolger hält, muss nicht untröstlich sein. Er ist erst fünfzig, und dass er den Leitwolf irgendwann noch wegbeißen muss (und wohl auch wird), entspricht dem Karrieremuster, nach dem auch Seehofer sich bis 2008 nach oben durchboxen musste. Wenn er dem Jüngeren Steine in den Weg legt, kann er das, falls er Lust darauf hat, als Fördermaßnahme verkaufen: als Erziehung zur Härte gegen sich und andere. So denkt und handelt, wem man zutraut, in seiner Jugend auch bei Kirmesschlägereien eine gute Figur gemacht zu haben.

Martin Schulz (SPD) hat schon vor Monaten verkündet, Seehofer werde eine Belastung für Merkel. Das hört sich nach Lagerwahlkampf an. Doch dürfte eine schwarz-grün-gelbe Option - mit der CSU ohnehin kaum denkbar - und damit die Aussicht auf eine neue rechte Mitte jetzt zumindest für 2017 erledigt sein. Einen ganz rechten Bürgerblock wird es ebenfalls nicht geben: Der käme nur unter Einbeziehung der AfD zustande - und das ist weder mit Merkel noch mit Seehofer zu machen. Was man ihm trotz aller scheinbaren oder tatsächlichen Sprunghaftigkeit zugutehalten muss, ist, dass er die AfD im bayerischen Landtagswahlkampf als Hauptfeindin bekämpfen wird, um sie aus dem Maximilianeum herauszuhalten.

Kein Rechtsblock also, aber wohl auch kein Linksblock. Dagegen spricht weniger der gegenwärtige Stand der Umfragen (so etwas kann sich ändern) als Martin Schulz selbst. Rot-Rot-Grün darf er aus Furcht vor Springer-Presse und Kapital im Wahlkampf nicht propagieren. Und die Ampel wäre ja auch keine linke Lösung.

Seehofer dürfte auf eine Große Koalition unter Merkel setzen. Damit ist er bisher gut gefahren. Sogar das zunächst aussichtslos erscheinende Mautprojekt hat er ins Ziel gebracht. Dass Joachim Herrmann die bayerische Landesliste bei der Bundestagswahl anführt, ist auch ein Signal. Seehofer sähe ihn ab September 2017 gern als Innenminister im Berliner Kabinett und stünde damit als eine Art Sieger in der Frage der Immigration da.

So trifft für seine Entscheidung fürs Weitermachen das Wort aus dem Politjargon zu, das man verwendet, wenn eine Sache nicht gut, aber auch nicht zu verhindern ist und keinen Weltuntergang bedeutet: nachvollziehbar.

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