Integrative Wohnheime gegen Fachkräftemangel

Senatorin prüft Konzepte, um Menschen Perspektiven zu bieten

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die einen warten noch, die anderen machen bereits. Gemeinsam mit anderen hat Peter Hermanns, Mitarbeiter des Internationalen Bundes, das Jobnetzwerk »Türöffner« gegründet. Der Verein vermittelt in Treptow-Köpenick in Kooperation mit dem Fußballzweitligisten 1. FC Union Berlin Geflüchtete in den ersten Arbeitsmarkt. Und dies nach eigenem Bekunden »sehr erfolgreich«. Unter anderem werden über Praktika zum Einstieg erste Kontakte zwischen Unternehmen und Geflüchteten hergestellt.

Schnell, pragmatisch und unkonventionell. So haben sich vor zwei Jahren, als im Sommer viele Menschen aus den Krisengebieten nach Berlin kamen, viele die Arbeitsvermittlung vorgestellt. Einige Wirtschaftsvertreter hegten auch die Hoffnung, dass mit den Neuankömmlingen der Fachkräftemangel in bestimmten Branchen gedämpft werden könnte. Die Realität ist indes eine andere: Symbolhaft steht dafür die Internetseite des Senatsprojekts »Arrivo Berlin«, das die Integration von Geflüchteten vorantreiben sollte. Zurzeit ist die Webpräsenz aber in »Überarbeitung«.

Auch aus Sicht der Industrie- und Handelskammer (IHK) haben sich die Erwartungen, dass 35 000 Geflüchtete zügig in den Arbeitsmarkt eintreten, nicht erfüllt. »Unsere Mitarbeiter sitzen bei Arrivo und warten, dass da ein Matching passiert«, sagt der Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin, Jan Eder. Doch fast alle Geflüchteten hängen immer noch in den Sprachkursen fest. Und wer diese hinter sich gebracht hat, will lieber gleich arbeiten, oft auch prekär, statt eine Ausbildung oder Fortbildung zu machen - um schnell auf eigenen Beinen stehen oder die Famlie nachholen zu können.

Die IHK lud für Mittwoch zum wirtschaftspolitischen Frühstück ein, um den Fachkräftemangel mit Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (LINKE) zu diskutieren. Laut jüngsten Studien ist dieser in Berlin im bundesweiten Vergleich zwar gering. Doch mit etwa 35 Prozent unbesetzten Stellen in den sogenannten Engpassberufen relativ hoch. Und 2010 war errechnet worden, dass in Berlin bis zu 400 000 Facharbeiter fehlen. »Der Fachkräftemangel spielt für uns eine zentrale Rolle«, sagt Elke Breitenbach. Wie Analysen gezeigt haben, gibt es Engpässe in technischen Berufen wie der Energie- und Klimatechnik, im Eisenbahnbereich, in Gesundheits- und Pflegeberufen sowie bei den Erziehern. Auch für den öffentlichen Dienst wird es schwieriger, geeignete Beschäftigte zu finden.

Um mehr Menschen in Berlin in »gute Arbeit« zu bringen und Potenziale zu heben, schlägt Breitenbach als Gegenmaßnahmen einen »Dreiklang« vor: Bildung, Ausbildung und Qualifizierung. Für die Politik geht es auch darum, die Rahmenbedingungen zu verbessern, damit Azubis und Fachkräfte gerne in die Hauptstadt ziehen. Dabei geht es auch um Dinge wie die Kita-Versorgung für Alleinerziehende und Pflegemöglichkeiten für Angehörige. Senatorin Breitenbach: »Politik und Unternehmen müssen stärker Konzepte entwickeln, wie sie beispielsweise den vielen gut ausgebildeten Frauen helfen, in gute Arbeit zu kommen.« Für Menschen mit einer Behinderung will die Verwaltung die bürokratischen Hürden senken, damit eine Beschäftigung für Unternehmen erleichtert wird.

Was die Situation von Geflüchteten und Auszubildenden, aber auch Studierenden angeht, diskutiert die Arbeitsverwaltung derzeit zudem Ideen, integrative Wohnprojekte einzurichten. Mit diesen Wohnheimen beispielsweise in Containern könnten nämlich zwei Probleme mit einer Klappe geschlagen werden: Azubis und Studierende würden einerseits bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung gestellt bekommen, und die Geflüchteten könnten zugleich in einem Umfeld leben, das ein gemeinsames Zusammenleben befördert.

Die Arbeitssenatorin hat aber nicht nur die Auszubildenden und Geflüchteten im Blick, sondern auch die Langzeiterwerbslosen. Außerdem sei zentral, sagt Breitenbach, dass bereits in Betrieben arbeitende Niedrigqualifizierte weiterqualifiziert werden. Auch Menschen mit gebrochenen Erwerbsbiografien sollten eine Chance erhalten. »Keiner meiner Lehrer hätte geglaubt, dass ich Senatorin werden könnte«, sagt Breitenbach mit Blick auf ihre eigene Schulzeit.

Integration, Inklusion und Bürokratieabbau. Beim Fachkräftemangel hat Rot-Rot-Grün dicke Bretter zu bohren. Dass der Senat eine Ausbildungsabgabe prüfen will, kommt bei den IHK-Vertretern unterdessen nicht gut an. Dabei hat auch die Wirtschaft ihren Anteil beizutragen. »Die Verantwortung, dass Ausbildung stattfindet, liegt bei den Unternehmen«, sagt Breitenbach.

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