Täve Schur muss wieder draußen bleiben

Nach hitziger Debatte verwehrt eine Jury zum zweiten Mal dem DDR-Radsportidol die Aufnahme in die Hall of Fame

Täve Schur begab sich unter seine Leute an diesem Freitagnachmittag. Etwa 200 Menschen feierten den Redner bei der Festveranstaltung in Berlin zum 60. Gründungstag des Deutschen Turn- und Sportbunds (DTSB), des Sportdachverbands der DDR. Der Arndt-Bause-Saal des Freizeitforums Marzahn war voll besetzt, viele ehemalige Weggefährten und Mitglieder des DTSB, den es seit knapp 28 Jahren nicht mehr gibt, waren der Einladung des hiesigen Bezirkssportbunds und eines Freundeskreises der Berliner Sportsenioren gefolgt. Nun spendeten sie ihrem Idol Gustav-Adolf »Täve« Schur warmen Beifall. Die meisten wussten bereits, dass er ihn nötig hatte.

Nur wenige Stunden zuvor hatte die Deutsche Sporthilfe verkündet, dass dem ehemaligen Radweltmeister erneut der Einzug in die Hall of Fame verwehrt worden war. Die Jury wählte zwar Leichtathletin Heike Drechsler, Skispringer Sven Hannawald, Kombinierer Franz Keller und Fußballer Lothar Matthäus als neue Mitglieder in die Ruhmeshalle des deutschen Sports, doch Schur verfehlte die Mehrheit der Stimmen.

Dokumentiert: Die Meldung der Deutschen Sporthilfe

Die Jury der »Hall of Fame des deutschen Sports« hat vier neue Mitglieder gewählt: Heike Drechsler, Sven Hannawald, Franz Keller und Lothar Matthäus. Gustav-Adolf »Täve« Schur verfehlte das Quorum von 50 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die Nominierung des DDR-Radsportidols Schur hatte sowohl Zustimmung als auch Kritik hervorgerufen - vor allem nach seinen Aussagen in einem Zeitungsinterview, die als Verklärung des DDR-Unrechts und als Verharmlosung des erwiesenen DDR-Dopings von Minderjährigen ausgelegt wurden.

Dr. Michael Ilgner, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Sporthilfe, sagt zum Jury-Entscheid: »Die Sporthilfe ist überzeugt, dass man der Diskussion um die deutsche Sportvergangenheit nur versuchen kann gerecht zu werden, wenn man sich nochmals sehr grundsätzlich mit der Thematik auseinandersetzt und nicht nur über Jury-Stimmen redet ... Wir plädieren für eine Debatte ohne die hohe Emotionalität der letzten Tage - eine Debatte mit offenem Visier und losgelöst von einzelnen Namen. Dafür werden wir im Herbst ein Forum veranstalten. dpa/nd

»Wenn die Deutsche Sporthilfe, der Deutsche Olympische Sportbund und der Verband Deutscher Sportjournalisten, drei Fundamente des Sports, mich vorschlagen, und die Jury dann anders entscheidet, dann brüskiert die Jury den gesamten Sport«, zeigte sich Schur am Rande der Veranstaltung enttäuscht von der Entscheidung. »Das ist für alle ernüchternd, die sich mir positiv gegenüber geäußert haben - nicht nur im Osten, aber vor allem im Osten des Landes. Es ist tief befremdlich, wie man dem Osten wieder mitspielt«, so Schur.

Dem 86-Jährigen war vorgeworfen worden, sich zu wenig vom Doping im DDR-Leistungssport zu distanzieren. Die Debatte entzündete sich noch einmal nach einem Interview Schurs im »nd«, in dem er sagte: »Der DDR-Sport war nicht kriminell, sondern vorzüglich aufgebaut: Der Aufbau der sportlichen Gesundheit der Bevölkerung aus den Kindergärten heraus über den Schulsport bis hin zu den Leistungssporteinrichtungen war einmalig.« Auch stritt er die Existenz von Dopingtoten in der DDR ab.

Daran hatten sich vor allem der Verein der Doping-Opfer-Hilfe und der ehemalige DDR-Radsportler Uwe Trömer gestört, der von Sportärzten gedopt worden war und nun in einem offenen Brief an Schur schrieb: »Auch in der DDR gab es Dopingtote. Diese Opfer sind im Stillen und leidend gestorben. Einige haben bis zum Schluss ausgeblendet, dass die kriminelle Verabreichung von u.a. Oral Turinabol etwas mit ihrem Leiden zu tun haben könnte. Die Liebe zum Sport war größer als die Einsicht, dass im DDR-Sport nicht der Mensch zählte, sondern nur die Medaillen.«

Schur verteidigte hingegen am Freitag erneut, wie sehr die Verankerung des Sports in der DDR zur Gesunderhaltung der Bevölkerung beigetragen hätte. Und auch im Spitzensport sei das Land unter schwierigen Bedingungen sehr erfolgreich gewesen, was er nun gern auch in der Ruhmeshalle gewürdigt sehen würde: »Die Aufnahme in die Hall of Fame wäre für mich persönlich eine Ehre gewesen. Aber ich will vor allem betonen, dass noch viel mehr ostdeutsche Sportler, die einen hohen Anteil an olympischen Medaillen und Erfolgen bei Weltmeisterschaften errungen haben, da hineingehören.«

Schur war bereits 2011 von der Jury abgelehnt worden. Einen dritten Anlauf werde es nicht geben, sagte Michael Ilgner, Chef der Sporthilfe, die Trägerin der Hall of Fame ist. Man wolle vielmehr eine erneute Diskussion über die deutsche Sportvergangenheit anregen.

Schur war diesmal vom Deutschen Olympischen Sportbund auf Anregung von Andreas Silbersack, Präsident des Landessportbundes Sachsen-Anhalt nominiert worden. Silbersack hatte dabei die Unterstützung aller 16 Landessportbünde. »Ich halte diese Entscheidung für einen kapitalen Fehler«, sagte Silbersack nun. »Wie mit Täve Schur umgegangen wurde, hätte ich mir in meinen schlimmsten Träumen nicht vorstellen können.«

Vor allem die Aussage von Hans-Wilhelm Gäb sei für ihn »weit über das Erträgliche« hinausgegangen, da der Initiator der Hall of Fame »Nazi-Deutschland und die DDR auf untragbare Weise gleichgesetzt« habe. Gäb hatte erklärt: »Kein Mensch käme auf die Idee, einen im Sport erfolgreichen Nazi, wenn er auch heute noch die Untaten des Regimes verherrlichte, in die Hall of Fame aufzunehmen. Warum dann Schur, der immer noch als Propagandist einer Diktatur auftritt, die Tausende von Menschenleben auf dem Gewissen hat?«

Dagmar Freitag (SPD), Sportausschussvorsitzende im Deutschen Bundestag, begrüßte die Ablehnung Schurs: »Die Jurymitglieder verfügen offenkundig über mehr sportpolitischen Instinkt als die Präsidenten der Landessportbünde.«

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