Der nächste Sonnenaufgang

Mit dem fünften Titel in Folge versucht der FC Bayern, die Saison als Erfolg einzuordnen

  • Maik Rosner, Wolfsburg
  • Lesedauer: 4 Min.

Als sich die Bilder aus Wolfsburg bestaunen ließen, geriet der vorangegangene Bayern-Blues kurz in Vergessenheit. Fröhlich blickten die Münchner nun drein in ihren roten Meistershirts mit dem weißen Handabdruck, der den fünften Titelgewinn hintereinander symbolisierte. Kapitän Philipp Lahm lachte, ebenso Trainer Carlo Ancelotti, der dem Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge ein Küsschen auf die Wange drückte, wohl auch aus Dank für dessen jüngste Rückendeckung. Und Joshua Kimmich, das vernachlässigte Talent, brach gar in lautes Gelächter aus.

Die Münchner wirkten durchaus gelöst am Samstagabend nach dem 6:0-Sieg beim VfL durch die Tore von David Alaba, Robert Lewandowski (2), Arjen Robben, Thomas Müller und Kimmich. Sie vermittelten bei aller Routine den Eindruck, sich aufrichtig über das Gewöhnliche zu freuen. So wie sich andere Menschen erquicken an einem Sonnenaufgang, der ebenso zum Lauf der Dinge gehört und doch etwas Besonderes vermittelt. Fünfter Meistertitel in Serie, ein Rekord, gewiss, zudem der 27. insgesamt. Aber auch die Sonne stellt jeden Morgen einen neuen Rekord auf. So oft wie heute war sie noch nie aufgegangen. Für den selbst ernannten Stern des Südens, den sportlich, weil wirtschaftlich mit großen Abstand führenden deutschen Branchenprimus FC Bayern, gilt das im übertragenen Sinne ebenso.

In diesem Sinne müssen wohl Rummenigges Einlassungen verstanden werden, in deren Zuge er sogar Uli Hoeneß belehrte. Der Präsident hatte vor dem Spiel in Wolfsburg gesagt: »Auf die Dauer ist ein Titel schon ein bisschen wenig für uns.« Rummenigge widersprach nun nur »ungern, weil ich mit ihm befreundet bin und er ein extrem wichtiger und sehr erfahrener Mann bei Bayern München ist«, wie er sagte, »aber ich glaube, auch Uli Hoeneß hat Jahre erlebt, egal, ob als Manager, als Spieler oder in seiner Eigenschaft jetzt als Präsident, wo wir titellos waren. Deshalb sage ich: Wir müssen den Anspruch bei Bayern München auch nicht ins Unermessliche führen. Deutscher Meister ist ein toller Titel. In dieser Republik wären 17 andere Mannschaften extrem zufrieden. Bei Bayern München muss es dann auch der Anspruch sein, dass wir zufrieden sind und das nicht als Trostpreis abtun.«

Nachdem Rummenigge schon während des Spiels ein Bier aus einem Plastikbecher geschlürft hatte, hinterließ er auch noch diesen Satz: »Wir sind total happy. Wir haben nicht diesen arroganten Anspruch, jedes Jahr das Triple zu gewinnen.«

Plastikbecher statt Champagnerglas - es war dennoch ein Bild mit Symbolcharakter. Ebenso bezeichnend fiel die Wortwahl des Vorstandschefs aus. Dass es der Anspruch sein müsse, mit dem Single statt mit dem erhofften Triple oder angestrebten Double zufrieden zu sein, erzählte viel über die wahren Begehrlichkeiten des FC Bayern. Und auch darüber, wie schwer es dem Meister fällt, die Saison als Erfolg einzuordnen. Statt umfassender Glückseligkeit gab Rummenigge nun Bescheidenheit in Auftrag nach den jüngsten Enttäuschungen in der Champions League und im Pokal. Danach waren sie auch ein bisschen Opfer des Zeitgeistes geworden, in dem Zwischentöne und maßvolle Beurteilungen wenig Platz finden.

Wie der Ertrag - auch aus Sicht des Publikums - realistisch zu bewerten ist, wurde bei anderen deutlicher als bei Rummenigge. »Die Saison war okay mit einem Titel. Aber dass wir uns mehr vorgenommen haben, ist auch klar«, sagte beispielsweise Lahm, der mit seinem achten Meistertitel mit den Klublegenden Oliver Kahn, Mehmet Scholl und Bastian Schweinsteiger gleichzog. Nach dem letzten Ligaspiel gegen den SC Freiburg am 20. Mai wird der Weltmeister Lahm seine Karriere beenden. Genauso wie der spanische Welt- und Europameister Xabi Alonso, womit der anstehende und spätestens mittelfristige Umbruch begonnen hat. Dieser müsse »irgendwann kommen. Im Sommer kommt ja schon einer«, sagte Lahm beinahe im Stile eines Sportdirektors. Diesen vom FC Bayern angebotenen Job hatte er zuletzt abgelehnt, perspektivisch dachte er nun dennoch für den Verein. »Es wird aber keinen großen Knall geben«, sagte Lahm.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal