Piraten ahoi!

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Von Volkmar Draeger

Liest man von Produkt-Piraterie und somalischen Freibeutern, ist das nicht so lustig, wie man sich 1856 orientalisierend das Korsarenleben vorstellte. In jenem Jahr eroberte ein Ballett die Pariser Oper, das lose auf einem Poem von Lord Byron fußt und seither zahlreiche Überarbeitungen erfuhr. So viele, dass kaum auszumachen ist, zu welcher Inszenierung welche Musik neu eingelegt wurde. Auch die Choreografen überboten sich in stets neuen Bravourstücken. Auf Joseph Mazilier, den Schöpfer der Uraufführung, folgten in Russland 1858 Jules Perrot und, sehr erfolgreich, 1863 Marius Petipa. Wer »Le corsaire«, so der Titel des Stücks, über 160 Jahre nach der Premiere rekreieren will, hat die Qual der Wahl bei den vielen nutzbaren Komponisten.

Prachtvoll gelang die Neuinszenierung vor wenigen Jahren in München, und an sie hält sich in der Musikwahl und der Reihung der 52 Nummern, was Gonzalo Galguera nun in Magdeburg einstudierte. Unter Leitung des talentvollen Kubaners, der zudem eine Compagnie in Kolumbien führt, hat sich Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt in gut zehn Jahren zu einem Mekka klassischer Handlungsballette entwickelt und nimmt nun eine Sonderposition bei vergleichbaren Ensembles in den neuen Bundesländern ein. Nach »La Sylphide«, den drei Balletten Tschaikowskis, »Coppelia« und »Don Quichotte« entern derzeit Korsaren frohgemut entschlossen die Bühne des Großen Hauses.

Alle Beteiligten, von den Gewerken bis zu den Akteuren, haben sich in diesem sprühenden Zweieinhalb-Stunden-Spektakel selbst übertroffen. Imposant schon das riesige Schiff (Bühne Darko Petrovic), auf dem Konrad, Birbanto und ihre Crew im Prolog unter geblähtem Segel, zuckenden Blitzen und heftigem Gewitter über tobende Wellen schaukeln. In den drei folgenden Akten ist dies ihre gestraffte Story. Auf einem von perspektivischem Gebälk umgebenen und einer Moschee grundierten Sklavenmarkt will der Pascha frische »Ware« für den Harem kaufen, Medora jedoch, in Konrad verliebt, verweigert sich und flieht mit den Sklavinnen sowie den Korsaren in deren malerisch vom Mond beschienene Grotte. Als Konrad großmütig den Sklavinnen ihre Freiheit schenken will, kommt es unter dem Rivalen Birbanto zum Aufstand. Konrad wird betäubt, Medora in die prächtige maurische Bogenarchitektur des Paschas entführt. Dorthin folgen, als Pilger verkleidet, die Korsaren, befreien Medora, strafen Birbanto und ziehen im Epilog mit ihrem Schiff neuen Abenteuern entgegen.

Keine weltbewegende Handlung, nur eine simple Piratenpistole, unterfüttert mit filigraner Musik hauptsächlich vom »Giselle«-Komponisten Adolphe Adam, dem französischen »Klangparfüm« des »Coppelia«-Meisters Léo Delibes und Einlagen der italienischen Zaren-Hofkompositeure Riccardo Drigo respektive Cesare Pugni. All dies bindet Galguera mit bezaubernden Kostümen (Josef Jelínek) und oft verblüffenden offenen Verwandlungen zu einem tänzerisch furiosen Strauß von bestem Unterhaltungswert. Dazu bietet er außer seinen 24 Ensembletänzern neun Gäste und 38 Komparsen auf.

Turbulent geht es auf der Szene zu, als im Marktbild des ersten Akts verschleierte Schöne gebracht werden und die Korsaren in rassigem Tanz mit Schwerterklingklang Medoras Entführung vorbereiten. Zentrum von Akt zwei in der Hochburg der Piraten ist der fulminante Pas de deux von Konrad und Medora, der, dem Original folgend, zum Trio mit dem Sklaven Ali wird. In hitzigem Disput spaltet sich die Mannschaft in Gegner auf, ehe die Verfolgung der gekidnappten Medora beginnt. Besonders der dritte Akt ist pittoresk: im Traumbild, das dem abgelenkten Pascha ein irdisches Paradies vorgaukelt, in dem himmlische Tänzer in atemberaubend eleganten Tableaus Blumenbögen heben und senken. Ein bisschen Plüsch, bitte, muss erlaubt sein.

Magdeburgs Tänzer wachsen sichtlich an jeder Neuproduktion des ambitionierten Choreografen Galguera, bewältigen souverän und formvoll selbst knifflig virtuose Passagen. Was Lou Beyne als schmalgliedrige Medora und Adrián Román Ventura als behänder Konrad in den Duetten leisten, von brillanten Pirouetten bis zu einarmigen Stemmhebungen, ist ebenso beeindruckend wie die Sprungkraft eines Daniel Smith als Birbanto und die Stiltreue einer Narissa Course als Medoras Freundin. Unter Svetoslav Borisov stimmt die Magdeburgische Philharmonie inspirierend in den schwelgerischen Reigen ein.

Nächste Vorstellungen: 7., 26. Mai

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