Nichts wie raus!

Im Kino: »Get Out« von Jordan Peele ist ein komplexer und intelligenter Horrorthriller

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein schwarzer junger Mann irrt verängstigt durch eine weiße, propere Vorstadt mit ihren glänzenden Gartenzwergen, gefegten Garagenauffahrten und gemähten Rasen. Aus einem ihm langsam und bedrohlich folgenden Auto schallt dumpf Musik, doch nicht etwa Gangster-Rap, sondern ein weißer Hillbilly-Song aus den 1940er Jahren: »Bang, bang, bang goes the Farmers Gun. Run, Rabbit, run!« Die Eröffnungsszene des Films »Get Out« ist somit eine schöne Persiflage auf die zahllosen Filmszenen, in denen sich normalerweise Weiße im Schwarzenghetto verlaufen. Andersherum erscheint es mindestens ebenso gruselig.

Die Szene macht auch gleich zu Beginn deutlich, dass in Jordan Peeles Meisterstück von einem ungewöhnlichen Thriller das Thema Rassismus aus einem überraschenden Blickwinkel betrachtet wird. Die »New York Times« fühlte sich bei dem verfolgten Schwarzen gar an Trayvon Martin erinnert. Der wurde 2012 in einer behüteten Vorstadt von einem weißen »Bürgerwehr«-Mitglied erschossen. Diese Referenz zeigt, wie schnell seit Donald Trumps Wahlsieg in allen möglichen (und unmöglichen) Bereichen der Popkultur nun politische Anspielungen und »Widerstand« aufgespürt werden. Dass die »liberalen« US-Medien dieses sozial-kulturelle Engagement seit Trump wieder stärker kultivieren, ist in der erlebten plötzlichen Intensität etwas befremdlich, aber natürlich zu begrüßen - lieber spät als nie. Mag dieser neue Eifer manchmal etwas peinlich oder aufgesetzt erscheinen, so ist er bei »Get Out« absolut angebracht. Der Film (vier Tage nach Trumps Wahlsieg beim renommierten Sundance-Festival überschwänglich gefeiert) besitzt tatsächlich eine »seinem historischen Moment angemessene Komplexität«, wie die »New York Review of Books« zutreffend schreibt.

Chris (Daniel Kaluuya) soll endlich die Eltern seiner Freundin Rose (Allison Williams) kennenlernen. Aber der hochbegabte Fotograf macht sich Sorgen: Rose hat ihrer Familie noch nicht erzählt, dass ihr neuer Freund Afroamerikaner ist. Die Angst vor demütigender Zurückweisung und Rückständigkeit scheint sich aber als unbegründet zu erweisen, als Chris von Missy (Catherine Keener) und Dean Armitage (Bradley Whitford) mit offenen Armen empfangen wird.

Dennoch - irgendetwas stimmt nicht: Die sich »links« gebenden schwerreichen Armitages umweht ein merkwürdig altertümlicher, feudaler Geist. Das ausufernde Anwesen erscheint wie eine ehemalige Sklavenplantage, und die Hausherren passen da mit ihrem elitären, an Südstaaten-Barone erinnernden Gehabe gut rein - dem liberalen Gerede und ihrer angeblichen Obama-Sympathie zum Trotz. Und dann sind da noch die schwarzen Bediensteten, die nicht nur das Eliten-Klischee bestätigen, sondern sich auch noch sehr merkwürdig und irgendwie seelenlos verhalten.

Jordan Peele wandelt nur anfänglich und nur scheinbar auf den Spuren des allzu braven Klassikers »Guess who’s coming to Dinner« von 1967. Denn Chris muss sich nicht nur wie damals Sidney Poitier den Ressentiments seines weißen Schwiegervaters stellen (Spencer Tracy in seiner letzten Rolle). In »Get Out« ist dieses verbale Abtasten nur pseudohöfliches Vorgeplänkel, ein Vorhof zur Hölle sozusagen.

Leider kann man nicht mehr von der Handlung preisgeben, ohne die Spannung zu gefährden. Das ist für einen Horror-Thriller aber nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen. »Get Out« ist handwerklich anspruchsvoll, er ist inhaltlich abgründig, dazu witzig, intelligent, gut gespielt, exzellent geschrieben, stilistisch geschmackvoll. Er verbindet Buddy-Humor, blutige Genre-Gemeinheiten, wilde Wendungen und eine nachdenkliche Botschaft, die lange nachhallt und die nochmals um einiges vertrackter ist, als man im ersten Moment realisiert. Mehrfaches Ansehen kann hier helfen.

Die internationale Presse ist dementsprechend angetan, es gibt praktisch nur euphorische Besprechungen, für das »Empire Magazine« ist »Get Out« gar »der wichtigste Film des Jahres«. Nicht zuletzt hat der nur fünf Millionen Dollar teure Low-Budget-Film in den USA für das sensationelle Einspielergebnis von mehr als 150 Millionen Dollar gesorgt. Und so kann er möglicherweise über den eigenen Erfolg hinaus in die Zukunft weisen. Denn »Get Out« ist das Gegenmodell zum mittlerweile unbezahlbaren und inhaltlich totgelaufenen Comic- und Sci-Fi-Franchise: Der Film ist ein Sieg der guten Ideen über die Materialschlachten und eines glänzenden Ensembles über den einzelnen Superstar.

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