Die Thomas-Offenbarung

Velten Schäfer über die politische Theologie des Innenministers

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 1 Min.

»Bild« ist neuerdings die Thomas-Offenbarung: Erst wiederkäute Thomas de Maizière dort die »Leitkultur«, nun folgt eine polit-theologische Selbstschau: Es gebe nur oberflächlich einen Konflikt zwischen Jesus und seiner Abschiebepolitik, seien doch Beten und Staat zweierlei: Letzterer sei der »Gerechtigkeit« verpflichtet, nicht christlicher »Barmherzigkeit«! Seit Luthers Schrift »von der Freiheit eines Christenmenschen« kenne man schließlich die »Trennung des religiösen Lebens von staatlicher Macht«.

Luthers einschlägige »Zwei-Reiche-Lehre« richtete sich gegen den katholischen Gottesstaat, gegen weltliche Macht und profanen Prunk der Kirche. Freilich hat dieses Argument auch eine Kehrseite: politische Abstinenz des Glaubens. Der Reformator selbst verdeutlichte dies in seiner Verdammung zeitgenössischer Aufstände gegen die Leibeigenschaft. In dieser Tradition erwies sich gerade die evangelische oft als die Konfession der Untertanen und Kollaborateure, nicht zuletzt auch mit Hitler.

Mit diesem Luther hat der Protestantismus gebrochen. Christliche Freiheit gilt heute als Freiheit vom eitlen Egoismus, als Freiheit zum Dienst am Nächsten. Ob ein Mächtiger, der sich mit Härte gegen Geflüchtete profiliert und gegen das Kirchenasyl zu Felde zieht, auf seinem Platz im Kirchentagspräsidium richtig ist, wäre im Lutherjahr eine Denkaufgabe.

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