Im besten Sinne elegant

Neu auf CD: Alexander Krichel spielt Ravel-Klavierzyklen, Christiane Karg singt französische Dichtung

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Alle bedeutenden Pianisten haben Maurice Ravels große Klavierzyklen gespielt: »Le Tombeau de Couperin«, »Miroirs«, »Gaspard de la Nuit«. Ihr erster Interpret war der Komponist selber. Ravel hat die Arbeiten allesamt orchestriert und damit Dirigenten und Orchestern rund um den Globus wahrlich Freude bereitet. Michael Gielen oder Pierre Boulez etwa haben »Miroirs« wirklich geliebt und immer wieder aufgeführt. Desgleichen der große Ernest Bour.

Von den Klavierzyklen existieren jüngere CD-Einspielungen der Franzosen Betrand Chamayou und Jean-Efflam Bavouzet. Topaufnahmen. Die Gedanklichkeit der älteren Produktionen mit Pierre-Laurant Aimard oder Mauricio Pollini indes erreichen sie nicht. Pianist Alexander Krichel hingegen, geboren 1989 in Hamburg, hat die Chance, hier mitzuspielen, wenn seine Anlagen und Talente weiter so sprudeln wie in den vorliegenden Produktionen, soeben erschienen bei Sony. Mit sechs Jahren fing Krichel an, Klavier zu spielen. Mit 15 war er Jungstudent an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Ab 2007 studierte er in Hannover und London bei den russischen Meistern Vladimir Krainev (1944 - 2011) und Dmitri Alexeev. Hohe Schule.

2003 wurde Alexander Krichel »Nachwuchskünstler des Jahres«. Selbstredend trat er an den renommierten Berliner Häusern und weiteren Traditionsorten auf, die Schwetziger Festspiele etwa luden ihn ein. Konzertreisen führten den jungen Musiker durch halb Europa, in die USA und nach Japan. Soll er sich mal nicht zu viel zumuten. Sterne steigen nicht nur, sie fallen auch. Jedenfalls hat er bei Sony einen Exklusivvertrag. Sein drittes Album, gewidmet Rachmaninow, nahm er vor Kurzem mit der Dresdner Philharmonie unter Michael Sanderling auf. Man darf gespannt sein.

Klaviermorgenröte ist, wie er die Ravel-Arbeiten aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts musiziert. Bei »Gaspard de la Nuit«, mit dem Zyklus endet die Platte, deutet er die Figur musikalisch, als wäre sie unterm Nachthimmel von allen irdischen Geistern verlassen. Pianissimo schwingen anfangs Akkord- und Melodiebildungen weit aus. Behände gehen die Finger über die Oktaven hinweg. Pedalisierung verstärkt den impressionistischen Gehalt des Eröffnungsteils, betitelt mit »Die Wassernixe«, Musik, ähnlich den »Jeux d’eau« von Ravel.

Der schuf den dreiteiligen »Gaspard« im mittleren Alter 1908. Die Wiedergabe des zweiten Teils, »Der Galgen«, erinnert an die Einfachheit der langsamen Präludien Chopins, die ihre je eigene dunkle Atmosphäre haben. In »Der listige Kobold« schließlich, mit reichlich zehn Minuten der längste Satz, setzt Alexander Krichel denselben als rennenden, humpelnden, stolpernden, abgehetzten Gejagten ins Bild. Als taumelnde, schwankende Drahtseilfigur, wandelnd auf tiefen Trillern mit Tränen in den Augen, um es bildhaft auszudrücken. Mit kapriziösen Formulierungen schließt der Satz. Auch »Miroirs« in der Mitte ist ohne Überschwang, ernsthaft, klar, im besten Sinne elegant umgesetzt.

Mit »Le Tombeau de Couperin«, Werk von großem Ernst, eröffnet die Platte. Das Stück umfasst sechs auf Tänzen basierende Teile. Jedoch das Tänzerische meint hier nicht Frohsinn. Die Stücke sind Epitaphe, Nachrufe auf Gefallene im Ersten Weltkrieg. Ravel war, wie sein Bruder, obwohl von kleiner Statur und zarter Physis, selbst Soldat. Er wusste, worüber er komponiert. Äußerster Verzicht ist bei der Wiedergabe geboten. Alles Individualistische gilt es, hintanzustellen. Virtuoses verbietet sich diese Musik geradezu und verbietet sie dem Spieler.

Alexander Krichel hält sich daran in bewundernswerter Weise. Restlos schnörkellos sein Spiel, ohne jede Attitüde, notenbildgetreu. Die Nr. 4 »Rigaudon« läuft marcato im gemäßigten Tempo ab. Mit dem rebellierenden Gestus des »Toccata«-Schlussteils ist »Rigaudon« der Satz, in dem Kriegerisches fernhin vernehmlich wird. Krichels Einspielung von »Le Tom᠆beau« kann als Modellaufnahme gelten. Die hohe Kultur der französischen klassischen Moderne spiegelt auch die CD-Produktion »Parfum« mit der im Opern- und Kunstliedbereich allseits gefragten Christian Karg. Die Sängerin zeigt sich hier als außergewöhnliche, subtilen Poesien gegenüber höchst aufgeschlossene Liedsängerin. Mit französischer Dichtung von Charles Baudelaire, Leconte de Lisle, Paul Verlaine, Tristan Klinsor oder Victor Hugo eng vertraut, keineswegs selbstverständlich unter ihresgleichen, stellte sie das Programm selbst zusammen. Hochdifferenzierte, orchestrierte Vokalmusik von Ravel, Debussy, Benjamin Britten, Charles Koechlin und Henri Duparc, begleitet von den Bamberger Symphonikern unter David Afkham. Die vier Songs aus »Le Livre de Baudelaire«, stilgerecht instrumentiert von John Adams, führen die Wahrnehmung in schwindelnde Bezirke poetischen Feinsinns. Voll Innigkeit die Wiedergabe der vollkommen autonomen »Quatre chansons françaises« von Britten, anmutige, entrückte, Hell-Dunkles ausdrückende Gesänge.

Die beiden gedanklich zusammenhängenden Alben hintereinander zu hören, lohnt allemal.

Alexander Krichel: »Miroirs. Ravel Piano Works« (Sony Classical) Christiane Karg: »Parfum« (Berlin Classics)

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