Leben und Sterben im Hotel

Im Kino: »Fünf Sterne« von Annekatrin Hendel

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Frau, deren Leben vorzeitig endet. Eine zweite Frau, mit Kamera. Freundinnen seit 33 Jahren, seit Teenager-Zeiten in Ost-Berlin. Künstlerinnen beide, multimedial unterwegs die eine, Filmemacherin die andere. Und nun für vier Wochen mit der Kamera in einem Hotelzimmer, zu zweit allein. Nur gelegentlich gerät ein Zimmermädchen ins Bild. Eines, das unkommentiert bleibt, und eines, dessen Tätowierung einer der beiden auffällt, auch wenn die Kamera nicht extra draufhält. Dieses Zimmermädchen wird kommentiert: Die mag ich, die ist großartig. Ein Lichtblick in einem privat eher desolaten Kontext, auch wenn das Zimmer vergleichsweise geräumig ist und der Blick direkt auf die Ostsee geht, ein schmuckes Reetdachhaus auf der anderen Seite.

Die Frauen zu zweit allein an der See, das sind Annekatrin Hendel, Regisseurin der bahnbrechenden Dokumentarfilme »Vaterlandsverräter« (über einen Stasi-Spitzel), »Anderson« (dito, nur ist es hier ein anderer Spitzel) und von »Fassbinder«, einem Porträt des westdeutschen Regisseurs. Die zweite Frau, die Freundin, ist Anfang fünfzig, todkrank - und immer im Blick der Kamera. Sie ist Ines Rastig. Als Kind Mitglied im Kinderensemble des Friedrichstadtpalastes, später Fotografin, Malerin, Multitalent, umfassend kreativ. Zweifache Mutter. Dann, versuchsweise, ein paar Jahre lang Hausfrau. Anschließend: depressiv. Getrennt, das (jüngere) Kind an den Vater verloren, schließlich in einer Internetbeziehung, die an einer anderen scheitert. Ätzend sind ihre Kommentare zur Selbstdarstellung der Nebenbuhlerin auf Facebook. Abgrundtief ist ihre Verzweiflung über die unentrinnbar ausweglose Lage, in die das Leben sie manövriert hat.

Kahlköpfig, mit Turban oder Pudelmütze, in Decken gewickelt auf dem Balkon kettenrauchend, gelegentlich mal unten auf der Hotelterrasse mit Vollkörpereinsatz Engelsfiguren in den Schnee malend: Ines Rastig führt ein häusliches Leben, den Computer nie lange aus der Hand. Als die Internet-Verbindung temporär abbricht, ist Panik angesagt. Die Filmemacherin hat hörbar Sorge, dass das Experiment scheitert, die Freundin nun gleich abreist und ihr Film hier endet. Und ebenso hörbar nur bedingt Verständnis für eine derart radikale Internetabhängigkeit. Ob sie nicht mal rausgehen sollten, vielleicht? An den Strand, aus dem Zimmer? Kein Vorschlag, der bei Rastig ankäme. Facebook ist ihre Art, sich zur Welt in Bezug zu setzen. Die gleichnamige Zeitung dagegen, die mit dem Globus im Titel, als tägliche Aufmerksamkeit des Hotels aufs Zimmer geliefert, bleibt ungelesen in einer Schrankecke liegen. Stapelweise. Was zum Schluss für einen netten Gag sorgt, bevor der Kokon mit Ostseeblick verlassen werden muss und die nächste Chemotherapie ansteht.

Was als vierwöchiges, winterliches Drehbuchstipendium begann, für das Annekatrin Hendel sich bei einem Luxushotel in Ahrenshoop beworben hatte - der Titel des Films, »Fünf Sterne«, sagt alles -, wird am Ende ein ganzer Film. Die Hoteldirektion gab ihr Einverständnis, statt des einen Gastes derer zwei zu beherbergen. (Und legte später noch mit eindrucksvoller Geste nach, indem sie Rastig für weitere drei Monate ein Zimmer zur Verfügung stellte.) Ahrenshoop, den Ort, den Strand, die Umgebung, wird man nicht zu sehen bekommen. Nur den Blick auf das Meer in seinem ständigen Farb- und Formenwechsel, den hält Ines Rastig laufend mit der Kamera fest. Die Fotos landen auf Facebook, eine vielgestaltige Geschichte ohne festen narrativen Rahmen. Und Hendel schneidet sie in ihren Film - eine Ausstellung und ein Fotoband waren gleich parallel geplant.

»Fünf Sterne«, der bei der Berlinale mit dem Heiner-Carow-Preis der DEFA-Stiftung ausgezeichnet wurde, ist ein kurzer, ruhiger Film über das Sterben geworden. Über nicht eingelöstes Potenzial, über eine ganz konkrete Person und ihre ganz konkret mörderisch unfaire Lebenslage. Und allgemeiner: über verschiedene Strategien, die Welt in den Griff zu bekommen, die am Ende nur zufällig unterschiedlich gut funktionierten. Hat vielleicht einfach Glück gehabt die eine, Pech gehabt die andere? Oder sollte es doch ein Gen für den Erfolg im Umgang mit unfairer Behandlung geben? Sehens- und bedenkenswert.

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