Österreich steht vor Neuwahlen

Rücktritt des Vizekanzlers Reinhold Mitterlehner bringt Regierungskoalition ins Trudeln

  • Hannes Hofbauer, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.

»Ich finde, es ist genug«. Mit diesen Worten trat Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner Mittwoch Mittag von allen seinen Funktionen zurück. Die Nachfolge ist sowohl in der Regierung als auch in der Partei ungewiss. Im Herbst dürfte es Neuwahlen geben.

Seit Monaten duellieren sich die beiden Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP, gemeinsame Arbeit war kaum mehr möglich. Als sich vor zehn Tagen dann die innerparteilichen Querelen in der christlich-liberalen ÖVP zuspitzten, konnte man schon über einen bevorstehenden Abgang des Parteichefs spekulieren. Gerüchten zufolge soll Mitterlehner, dem ein guter Draht zum sozialdemokratischen SPÖ-Kanzler Christian Kern nachgesagt wird, am Montag versucht haben, seinen ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka aus der Regierung zu werfen, weil dieser dem Kanzler Versagen auf der ganzen Linie vorgeworfen hatte. Mitterlehners Abtritt stärkt den der ÖVP, der sich eine Koalition mit der rechten FPÖ vorstellen kann.

In den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob der vermutliche Nachfolger von Mitterlehner, Sebastian Kurz, auf diesen Kurs einschwenkt und dafür Neuwahlen vom Zaun bricht. Unmittelbar vor dem Rücktritt des Vizekanzlers hatte Kurz noch gemeint, die ÖVP »in diesem Zustand nicht übernehmen zu wollen«.

Wie zerrüttet die ÖVP ist, zeigte sich während der von Mitterlehner eilig einberufenen Pressekonferenz. Zwar gab es artige Schelte des nun zurückgetretenen ÖVP-Chefs für den sozialdemokratischen Koalitionspartner SPÖ, der er »Inszenierungen« wie jenes Video von Kanzler Kern vorwarf, in dem dieser als Pizzabote durch die Lande tingelt. Die hauptsächliche Kritik Mitterlehners richtete sich aber an die eigenen Reihen. »Ich habe keinen Sinn mehr darin gesehen .... bei Provokationen mitzumachen«, sprach er direkt die Aussagen Sobotkas über Bundeskanzler Kern an. Auffällig auch, wie Mitterlehner bei seinem Abgang seinem Büro, dem Kabinett seines Ministeriums, dem SPÖ-Koalitionspartner, den Sozialpartnern und sogar der Opposition - namentlich den liberalen Neos, den Grünen und auch der FPÖ - für die faire Zusammenarbeit dankte, jedoch kein positives Wort über seine eigene Partei verlor.

Die ÖVP ist im Zugzwang. Bis zum Wochenende muss ein - zumindest interimistischer - Parteichef gefunden werden. Und wer die Regierungsgeschäfte von Mitterlehner übernimmt, wird sich auch in den nächsten Tagen zeigen. Zwar sitzt der 30-jährige Außenminister Sebastian Kurz schon seit geraumer Zeit in den Startlöchern, um dereinst Mitterlehner abzulösen, doch jetzt muss es schnell gehen, fordert nicht nur Präsident Alexander van der Bellen. Bundeskanzler Kern setzte Kurz sogleich nach dem Rücktritt Mitterlehners zusätzlich unter Druck, indem er ihm persönlich eine »Reformpartnerschaft« bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2018 anbot. Solange wird es diese Koalition nicht mehr machen.

Kurz muss sich überlegen, ob er die ÖVP in diesem Zustand übernehmen will oder er darangeht, eine eigene rechtskonservative Bewegung zu gründen. Anders als der zurückgetretene ÖVP-Obmann ist Kurz für eine Zusammenarbeit mit der FPÖ bereit, der er inhaltlich näher steht.

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