Weniger Schutzbedürftige in Deutschland

61 000 Menschen stellten im ersten Halbjahr einen Asylantrag

Eine Beamtin der Bundespolizei kontrolliert am deutsch-polnischen Grenzübergang Stadtbrücke in Frankfurt (Oder) ein Fahrzeug. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat die Überwachung ausgeweitet.
Eine Beamtin der Bundespolizei kontrolliert am deutsch-polnischen Grenzübergang Stadtbrücke in Frankfurt (Oder) ein Fahrzeug. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat die Überwachung ausgeweitet.

Die Asylzahlen sind im ersten Halbjahr dieses Jahres deutlich zurückgegangen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat in diesem Zeitraum 61 336 Menschen registriert, die erstmals einen Antrag auf Schutz in Deutschland gestellt haben. Das sind fast 50 Prozent weniger als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. »Im Zeitraum von Januar bis Juni 2025 wurden 72 818 förmliche Asylanträge gestellt, davon 61 336 Erstanträge und 11 482 Folgeanträge«, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums in Berlin.

Dieser Rückgang lässt sich auf mehrere zusammenwirkende Faktoren zurückführen. Zum einen haben die schrittweise eingeführten stationären Kontrollen an allen deutschen Landesgrenzen Schutzbedürftigen die Möglichkeit verwehrt, einen Asylantrag zu stellen. Parallel dazu haben verschärfte Abwehrmaßnahmen von Balkan-Staaten beigetragen, dass weniger Menschen auf der südosteuropäischen Route flüchten konnten. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) zeigte sich schon lange besorgt, weil Menschen, die auf dem Landweg unterwegs sind, zum Teil ohne jegliches Verfahren inhaftiert und zwangsweise in Nachbarländer zurückgeschoben würden, ohne ihren Schutzbedarf zu klären.

Neben diesen strukturellen Veränderungen auf der Fluchtroute wirkt sich auch die politische Wende in Syrien auf die Asylzahlen aus, wo im Dezember Staatschef Baschar al-Assad gestürzt worden war. Syrien, jahrelang Hauptherkunftsland von Asylbewerbern in Deutschland, lag im ersten Halbjahr 2025 mit 15 127 Anträgen knapp hinter Afghanistan, das mit 15 181 Erstanträgen nun die Liste der wichtigsten Herkunftsstaaten anführt.

Diese Entwicklung sieht Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) als Bestätigung seiner Politik: »Das sind deutliche Erfolge«, sagte er der »Bild«-Zeitung. »Konsequent« wolle er den Weg weitergehen und »die Migration wieder vom Kopf auf die Füße stellen«.

Tatsächlich hatte Deutschland schon 2023 mit Kontrollen begonnen, um Migranten ohne die nötigen Papiere die Einreise zu verwehren. Mit Start der schwarz-roten Bundesregierung Anfang Mai wurden die Kontrollen dann ausgeweitet und die Regeln verschärft. Abgewiesen werden können nun – anders als zuvor – auch Menschen, die ein Asylbegehren äußern.

Die rechtliche Grundlage für solche Zurückweisungen ist allerdings umstritten. Zusätzlich zur Klage von drei Somaliern gegen ihre Abweisung an der deutsch-polnischen Grenze sind laut einem Bericht bisher drei weitere Fälle bekanntgeworden, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums dem Magazin »Stern« sagte.

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte Anfang Juni in einer Eilentscheidung festgestellt, dass die Zurückweisung von drei Somaliern bei einer Grenzkontrolle am Bahnhof Frankfurt (Oder) rechtswidrig war. Ohne eine Klärung, welcher EU-Staat für einen Asylantrag der Betroffenen zuständig sei, dürften sie nicht abgewiesen werden, hieß es. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte nach der Entscheidung von einem »Einzelfallurteil« gesprochen.

Die genaue Begründung für die Zurückweisungen, die Dobrindt kurz nach dem Antritt der neuen Regierung zusammen mit intensiveren Grenzkontrollen verfügt hatte, will das Innenministerium weiterhin erst im Hauptsacheverfahren des Verwaltungsgerichts liefern, sagte der Sprecher dem »Stern«.

Da die Rechtsfrage jedoch über Deutschland hinausgeht, gehen zahlreiche Experten davon aus, dass erst der Europäische Gerichtshof die Rechtmäßigkeit abschließend klären wird. Dann wird vermutlich geklärt werden, ob Deutschland laut Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union Schutzbedürftige ohne Prüfung zurückweisen darf, weil die »Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung« nicht mehr gewährleistet sei.

Während diese Frage noch ungeklärt ist, eskaliert der Konflikt mit den Nachbarländern: Polen beginnt am Montag seinerseits mit Kontrollen an der Grenze zu Deutschland – und ist bereit, diese Maßnahme wieder aufzuheben, wenn auch Deutschland die Grenzkontrollen einstellt. Dobrindt hat Amtskollegen aus mehreren Nachbarstaaten für den 18. Juli zu einem Gespräch über die europäische Migrationspolitik auf der Zugspitze eingeladen. Mit Agenturen

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