Missbrauch der Historie

Von Aert van Riel

  • Lesedauer: 3 Min.

Der Hinweis auf die dunkelsten Kapitel der eigenen Geschichte dient deutschen Politikern oft dazu, ihr Handeln in der Außenpolitik zu begründen. Man gefällt sich selbst in der Rolle des geläuterten Sünders, der unter dem Deckmantel des Humanismus in der Weltpolitik eigene Interessen verfolgt. Insbesondere die Grünen haben sich dieser Strategie in der jüngeren Vergangenheit bedient, um eine aggressivere deutsche Außenpolitik zu rechtfertigen. Erinnert sei nur an den Kriegseinsatz gegen Jugoslawien Ende der 90er Jahre, um angeblich ein »neues Auschwitz« auf dem Balkan zu verhindern.

Eine ähnliche Stoßrichtung hat ein Antrag der Grünen, der am Freitag im Plenum des Bundestags behandelt werden soll. Darin wird das Parlament dazu aufgerufen, sich zu »Deutschlands historischer Verantwortung gegenüber der Ukraine« zu bekennen. Denn »kaum ein europäisches Land hatte im 20. Jahrhundert solch eine leidvolle und tragische Geschichte«. Dieser Satz ist zwar richtig und die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg werden von den Grünen ausführlich behandelt. Trotzdem mangelt es in dem Antrag an Differenzierungen. Die Zeit zwischen der Oktoberrevolution und den 50ern wird als Epoche von »Terror und Krieg« zusammengefasst. Die Grünen zeichnen das Bild eines Landes, das unter Nazideutschland, aber nahezu ebenso sehr unter Moskau habe leiden müssen. Dadurch sollen Assoziationen mit dem heutigen Bürgerkrieg geweckt werden. Die Ukrainer sind Opfer, das Böse kommt aus dem Osten.

Was damals und heute ukrainisch-nationalistisch und antisowjetisch beziehungsweise antirussisch war, kann aus Sicht der Grünen nicht völlig falsch sein. Das gilt etwa für den Nationalistenführer Stepan Bandera, der erst mit den Nazis kollaboriert, aber eine »Befreiung von Stalins Sowjetunion« gewollt und wegen seines Einsatzes für eine unabhängige Ukraine später im KZ gesessen hatte. Für die Ökopartei sind die Vorwürfe, dass der von vielen Mitgliedern der Kiewer Regierung verehrte Bandera den ukrainischen Faschismus verkörpere, »sowjetische und russische Propaganda«. Das ist schlicht Unsinn. Nachdem Bandera erstmals posthum 2010 zum »Helden der Ukraine« erklärte wurde, hatten neben Moskau auch Warschau, das EU-Parlament, mehrere jüdische Organisationen sowie zahlreiche Ukrainer selbst diese Entscheidung des damaligen Präsidenten Wiktor Juschtschenko kritisiert. Denn die von Bandera geführte Organisation Ukrainischer Nationalisten war bekannt für Antisemitismus, Hass auf Polen und Russen sowie für Massaker an der Zivilbevölkerung.

Aus der »historischen Verantwortung« folgt für die Grünen, dass heute der »Destabilisierung« der Ukraine »entschieden entgegengetreten werden« soll. Was das konkret bedeutet, bleibt offen. Einige Grüne, wie die Antragsschreiberin Marieluise Beck, hatten einst über Waffenlieferungen an Kiew im Kampf gegen die ebenso wenig fortschrittlich gesinnten Separatisten in den »Volksrepubliken« nachgedacht. Solche Forderungen sind deckungsgleich mit den Interessen der mit Nationalisten durchsetzten ukrainischen Regierung. Der Text der Grünen hätte auch aus ihrer Feder stammen können.

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