Auf die Barrikaden

Die Bürgerbewegung Lucha kämpft in der Demokratischen Republik Kongo gegen Missstände

  • Bettina Rühl, Goma
  • Lesedauer: 4 Min.

Serge Kambale hat schmale Narben an beiden Oberarmen. »Die stammen von den Seilen, mit denen mich die Geheimpolizei gefesselt hat«, sagt der kongolesische Aktivist. Sein Blick bleibt dabei so ruhig und unaufgeregt wie bei allem anderen, was er beschreibt, ob krasse Menschenrechtsverletzungen, extreme soziale Ungleichheit oder massive Veruntreuung von staatlichen Geldern.

Der 29-Jährige ist Mitglied der Bürgerrechtsbewegung Lucha (»Kampf für Veränderung«) in Kongo, und wurde schon fünf Mal verhaftet - zuletzt im Februar 2016. Damals war er dabei, mit anderen Aktivisten eine Demonstration für Wahlen vorzubereiten, was ihm sechs Monate Haft einbrachte.

Mit ihm wurde auch die 23-jährige Rebecca Kavugho festgenommen, die Ende März mit dem US-amerikanischen »Internationalen Preis für weiblichen Mut« ausgezeichnet wurde. Auch sie wurde schon mehrmals inhaftiert. »Die lange Zeit im Gefängnis hat mich nur noch entschlossener gemacht«, sagt die junge Frau. »Durch diese Erfahrung habe ich begriffen, dass es hier keinerlei Meinungsfreiheit gibt.«

Seit einigen Monaten häufen sich die Proteste in der Demokratischen Republik Kongo. Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Einsatzkräften wurden Dutzende Menschen getötet und Hunderte festgenommen. Auslöser für den Unmut ist, dass sich Präsident Joseph Kabila an die Macht klammert, obwohl seine Amtszeit nach zwei Mandaten abgelaufen ist und er laut Verfassung nicht erneut kandidieren darf. Für einen verfassungskonformen Machtwechsel hätte spätestens im November gewählt werden müssen, doch bis heute wurde kein Termin festgelegt.

Trotz der massiven Repression denkt Serge Kambale ebenso wenig wie Rebecca Kavugho ans Aufhören. »Es ist gut, für eine Sache verhaftet zu werden, die dir nicht die Schamesröte ins Gesicht treibt.« Jedes Lucha-Mitglied hat bereits jetzt teuer für sein oder ihr politisches Engagement bezahlt. Sei es durch die harten Bedingungen in Kongos Gefängnissen, durch - den Verlust eines Arbeitsplatzes - oder wie Serge Kambale fast mit seiner beruflichen Zukunft.

»Als ich im Februar 2016 festgenommen wurde, fehlten mir nur noch zwei Monate bis zum Abschluss meines Medizinstudiums«, erzählt er. Nach seiner Freilassung durfte er an seiner staatlichen Universität nicht weiterstudieren. Nur mit Mühe fand er eine andere Hochschule.

Dabei ist es nicht so, als bräuchte der Kongo keine Ärzte, ganz im Gegenteil: Im Gesundheitssektor mangelt es an allem, auch an Personal. Wie desaströs die Verhältnisse sind, stellte Serge Kambale bei einem einjährigen Praktikum fest. »Als Arzt merkt man schnell, welche grundsätzlichen Probleme unser Land hat.« Etwa einen Mangel an bezahlbaren Medikamenten. Viele Patienten bleiben deshalb auch dann ohne Behandlung, wenn sie einen Arzt gefunden haben und der auch die richtige Diagnose stellt. Die Arzneien auf dem freien Markt sind für viele Kongolesen zu teuer und die subventionierten Mittel zu knapp. »Aber für diese Probleme interessiert sich unsere Regierung einfach nicht.«

Die Lucha-Aktivisten dagegen interessieren sich genau für solche Fragen. Sie haben sich bereits 2012 zusammengeschlossen, um gegen soziale Missstände und für Bürgerrechte zu kämpfen - ihr Widerstand ist also älter als der Streit um Präsident Kabilas Amtszeit. Missstände gibt es in dem rohstoffreichen und damit potenziell wohlhabenden Kongo genug. Nach Schätzungen der Weltbank leben mehr als 60 Prozent der Menschen in extremer Armut, verdienen weniger als einen Euro am Tag. Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF spricht sogar von über 80 Prozent.

Gegen diese Armut, die hohe Arbeitslosigkeit vor allem unter jungen Menschen, den Mangel an sauberem Trinkwasser und andere Missstände machen die Aktivistinnen und Aktivisten mobil. Mit Demonstrationen, aber auch mit Aufklärungskampagnen, bei denen sie bisweilen sogar von Haustür zu Haustür gehen und mit den Bürgern über ihre Rechte wie kostenlose Grundschulbildung oder Wasserversorgung reden. Außerdem nutzen sie die sozialen Netzwerke.

Ihr vielleicht stärkster Gegner ist dabei die weit verbreitete Resignation. Viele Menschen in Kongo glauben nicht mehr, dass sie an den Verhältnissen etwas ändern können. Das halten die Lucha-Mitglieder für den Tod der Demokratie, weshalb sie beschlossen, die Dinge anders zu sehen. »Hätten unsere Eltern sich schon gegen die politischen Verhältnisse aufgelehnt, könnte meine Generation heute ein normales Leben führen«, sagt Kavugho. »Stattdessen müssen wir als Aktivisten jederzeit mit einer erneuten Verhaftung, einer Entführung oder sogar dem Tod rechnen.«

»Wir wollen nicht vergessen, dass dieses Land uns allen gehört«, ergänzt Kambale. Statt »jeden Tag darüber zu jammern«, Opfer von X oder Y zu sein, wollen sie deshalb handeln. »Wir sind für unser persönliches Schicksal selbst verantwortlich und können auch die Zukunft unseres Landes ein bisschen beeinflussen.« epd/nd

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