Lehrer-Azubis im Praxisschock

Im Kino: »Zwischen den Stühlen«, Dokumentarfilm von Jakob Schmidt

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

Wir sind in der Ausbildung, wir lernen das ja erst.» Ein Satz, den wohl jeder kennt, der sich noch in der Lehre befindet. Das Problem bei dieser Spezies Azubis: Sie sind formal gar nicht mehr in der Ausbildung, sondern haben bereits ein abgeschlossenes Fachstudium hinter sich und sollten damit eigentlich berufsfähig sein.

Die Rede ist vom Lehrerberuf, dem wohl einzigen Beruf hierzulande, den man erst wirklich richtig lernt, wenn man den «Gesellenbrief» schon in der Tasche hat. Der Unterricht mag sich verändert haben, das deutsche Schulsystem mag durchlässiger geworden sein, doch die Lehrerbildung trotzt hartnäckig sämtlichen Reformen im Bildungssystem. Zwar gibt es mittlerweile in der Studienphase Praktika und manche Bundesländer haben Praxissemester eingeführt, doch der Beruf wird wirklich erst im Referendariat erlernt. Wer nach der Uni als Referendar an eine Schule kommt, fängt genau genommen erst dann an, den Beruf zu erlernen.

Davon handelt der Dokumentarfilm von Jakob Schmidt, das Langfilmdebüt des Absolventen der Filmuniversität Babelsberg. Der Titel des Films spielt dabei auf den Umstand an, dass Referendare Lehrer sind, ohne Lehrer zu sein. Für seinen in Koproduktion mit dem ZDF entstandenen, knapp eindreiviertel Stunden langen Film hat Schmidt drei angehende Lehrkräfte auf dem letzten Abschnitt ihrer Ausbildung mit der Kamera begleitet. Fast durchgängig ohne Kommentar aus dem Off, ohne einordnende Moderation, spricht das Gezeigte für sich. Ralf Credner ist Referendar an einem Berliner Gymnasium, Anna Kuhnhenn will Grundschullehrerin werden, Katja Wolf unterrichtet als Lehrer-Azubi an einer Gesamtschule.

Der eingangs zitierte Satz fällt nach einer Ansprache einer älteren, erfahrenen Kollegin an die Referendare. Jedem der drei Porträtierten merkt man die Verunsicherung an, die die Erkenntnis bewirkt, nach mehreren Jahren Studium quasi noch Lehrling zu sein. Jeder von ihnen kennt «Horrorgeschichten», die man ihnen im Studium erzählt hat. Geschichten, in denen «alte Hasen» raten, für Disziplin in der Klasse zu sorgen, indem man die Schüler anbrüllt und die größten Störenfriede vor die Tür schickt. Geschichten von Schülern, die Lehrer mobben, von Pädagogen, die nach zwei Jahren «an der Unterrichtsfront» fix und fertig sind und den Job am liebsten hinschmeißen würden. Lehrer ist kein Beruf, sondern eine Berufung, haben viele vor dem Studium erzählt bekommen und diesen Spruch verinnerlicht. In den Studiengängen selbst fehlten die Instrumentarien, anhand derer sie selbst rechtzeitig überprüfen konnten, ob sie für den Lehrerberuf überhaupt geeignet sind. Nach dem Studium ist es zu spät; wer hängt einen Beruf schon freiwillig an den Nagel, wenn er jahrelang Geld und Zeit in ihn investiert hat?

Auf was kommt es in dem Beruf an? Auf ein «selbstsicheres Auftreten», sagt der Rektor von Ralf Credners Referendariatsschule, auf «Lehrerpräsenz». - «Eine gute Organisation des Unterrichts», betont die Praxisbetreuerin von Anna Kuhnhenn. Das alles ist wichtig. Lehrer sind aber vor allem als Beziehungsarbeiter gefragt. Wie man das wird, steht in der Ausbildung der Lehrer aber nicht an erster Stelle. Das sogenannte Fachlehrerprinzip, nachdem ein Physiklehrer in erster Linie ein guter Physiker sein muss, wird von seinen Befürwortern in allen Debatten über eine Reform der Lehrerausbildung wie eine Monstranz vor sich hergetragen. Wie man ein Beziehungsarbeiter und damit ein guter Lehrer wird, lernt man an den Universitäten eher nicht. Dafür braucht es die Praxis. Anja Kuhnhenn merkt im Verlauf ihres Referendariats, dass sie Probleme mit dem hat, was auf BWL-Neudeutsch «Performance» genannt wird: Sie spricht vor der Klasse zu leise, hat eine Körpersprache, die wenig Autorität ausstrahlt. Also sucht sie privat einen Rhetorik-Coach auf. Ein guter Unterricht hat einiges mit einem geschickten Verkaufsgespräch gemein!

Vor der Kamera denkt Anna Kuhnhenn laut über den Sinn von Noten, die Verwendung des Rotstifts beim Markieren von Fehlern in Schülerarbeiten nach und fragt sich anschließend, wie viel Macht sie in ihrem Beruf ausüben soll, muss oder will. Ihre Fachbetreuerin attestiert ihr später didaktische Mängel im Unterrichtsaufbau, doch als sie wegen der kritisierten Mängel die Schule wechseln muss, sagt einer der Schülerinnen zum Abschied: «Ich will mit niemand anderem mehr Deutsch lernen, als mit Ihnen.» Wie passt das mit der Kritik der Betreuerin zusammen? Gar nicht!

«Es wird Blaue Briefe regnen.» Ralf Credner muss diesen Satz sagen, denn am Gymnasium zählt vor allem eines: Leistung. In der Klasse: betretende Gesichter, manche kämpfen mit den Tränen. Ralf Credner weiß, wie man sich als Schüler in solch einer Situation fühlt. Er selbst flog wegen schlechter Noten nach der 9. Klasse vom Gymnasium, wurde zum Schulverweigerer, mit dem seine allein erziehende Mutter überfordert war. Sein Abitur hat er erst viele Jahre später auf dem zweiten Bildungsweg abgelegt.

«Ich schwöre, dass ich mein Amt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (…) und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen werde.» - Nein, das ist keine Formel, die nur Polizisten oder Staatsanwälte bei der Vereidigung als Beamte sprechen müssen; sie wird Pädagogen abverlangt, damit sie sich von Amts wegen Lehrer nennen dürfen. Das hat Symbolkraft: Wichtig ist im deutschen Schulsystem das Amt, nicht der Beruf!

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