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»Weltmacht DDR«: Alles Schlechte kommt aus der DDR-Kinderkrippe

Die aktuelle Ausgabe der »Zeitschrift für Ideengeschichte« widmet sich der »Weltmacht DDR«

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 4 Min.
Sie verlassen den amerikanischen Sektor. Willkommen in der Deutschen Demokratischen Republik!
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Als Heiner Müller in den Alpen war, so besagt eine Anekdote, schmiss er Ostmark von einem Gipfel. Damit sich die Archäologen eines Tages über die Ausmaße der DDR wundern, so die überraschende Begründung des Dramatikers.

Nimmt man die aktuelle Ausgabe der »Zeitschrift für Ideengeschichte« zur Hand, scheint die Verwunderung bei den Kulturwissenschaftlern und Historikern schon eingesetzt zu haben. »Weltmacht DDR« lautet der Titel der Neuvermessung, mit Erich Honecker im Citroën CX auf dem Cover. Wie ist das mit der Weltmacht zu verstehen? Zunächst im Sinne einer zugeschriebenen »posthumen Geschichtsmacht«, wie die Herausgeber Christian Neumeier und Danilo Scholz schreiben. »Mehr als 30 Jahre nach ihrem Untergang steht die DDR im Zenit ihrer Macht.« Zumindest im bundesrepublikanischen Bewusstsein, das die eigenen Pathologien nur mit einer Rückverlagerung in den Einflussbereich sozialistischer Staatsmacht zu erklären vermag. »Seit 1990 hat der autoritäre Charakter seinen Hauptwohnsitz nur noch in den neuen Bundesländern«, pointieren Neumeier und Scholz diese Geisteshaltung.

Sehr treffend nimmt zum Beispiel Stephan Papst die jüngste ostdeutsche Genreliteratur von Anne Rabe bis Hendrik Bolz auseinander. Die These des Literaturprofessors aus Halle an der Saale ist, dass Literatur über den langen Schatten der DDR zu einem Verkaufsschlager mit vorgefertigter Vorurteilsstruktur geworden ist. »Der Dreiklang Osten/Gewalt/Nazi hat sich zu einem literarisch erwartbaren Topos verdichtet«, schreibt Papst. »Er ist zum Element eines in Teilen ideologisch motivierten Genres geworden und kommt einer Erwartungshaltung entgegen, die oft weniger Aufklärung als Bestätigung sucht.« Alles Schlechte kommt aus der DDR-Kinderkrippe, so das Muster.

Zur Krippe schreibt die Historikerin Yanara Schmacks einen erhellenden Beitrag, der sich den Kampagnen gegen die Kindererziehung im Osten widmet. Und zu dem Schluss kommt, dass aus »westlicher Perspektive nicht die DDR, sondern die BRD als rückständiger, illiberaler Sonderfall« erscheint. Nur lässt sich damit kein überschaubares literarisches Talent vermarkten.

Ein brillantes Essay von Thomas Meaney, Redakteur bei »New Left Review« und »Granta«, hat Mitherausgeber Scholz ins Deutsche übersetzt. Meaney untersucht in »Die 89er. Lehrjahre einer Deutungselite«, wie eine Klasse von Meinungsmachern durch den »Mauerfall« zur Meinungsmacht werden konnte. Im Journalismus und in NGOs zu Hause haben die 89er sich in »ihrer Rolle als zeithistorische Hofberichterstatter eines siegreichen Liberalismus gefallen«, so Meaney. Und durch ihre Zivilgesellschaftsfolklore einen unpolitischen Begriff des Politischen geprägt. »Vielleicht besteht das eigentliche Erbe der 1989er darin, einen Begriff von Politik als Sphäre widerstreitender Interessen aus dem öffentlichen Diskurs weitgehend retuschiert zu haben.«

Man treffe außerdem immer dann auf die 89er, sobald »eine Gesellschaft als ›totalitär‹ bezeichnet wird, um sie für eine westliche Intervention publizistisch sturmreif zu schießen«, schreibt Meaney. Für ihn hängt der Menschenrechtsidealismus der 89er so sehr in der Luft, dass nur Bomber ihn erreichen. Doch mit der Krise des Liberalismus scheint nun auch die Dämmerung der 89er-Intelligentsia anzubrechen.

Neben meinungsstarken Eingriffen in den Ost-West-Diskurs gibt es auch einige hübsche Fundstücke aus dem untergegangenen Staatssozialismus. So lässt sich Dietmar Daths Hymne auf den DDR-»Fernsehroman« – wir nennen es heute: Serie – kaum anders verstehen, als dringlichst noch die DVD-Box von Frank Beyers »Die sieben Affären der Doña Juanita« auf den Wunschzettel für Weihnachten zu setzen. Dass Dath dabei nicht nur über die Serie schreibt, sondern auch über alles, was man sonst noch über Politik damals und heute wissen muss, versteht sich fast von selbst. Muss man lesen!

Sehr lesenswert sind auch Peter Richters »Die Quadratur der Platte« oder Martin Sabrows »Honecker in Chile«. Einen besonderen Archivfund präsentiert Ulrich von Bülow: Es handelt sich um die Antwortschreiben zu einer Umfrage des Kulturministers, welche zehn Bücher im »Leseland« DDR unbedingt zu empfehlen wären. Es antwortet unter anderem der Dramatiker und Dichter Peter Hacks, der zwar kein einziges Buch aus der DDR empfiehlt, dafür unter anderem »Struwwelpeter«, Arno Schmidt und George Bernard Shaw. Das meint »Weltmacht DDR« am Ende nämlich auch: Eine noch immer unterschätzte Weltzugewandtheit und Weltläufigkeit zwischen Ostsee und Thüringer Wald, Elbe und Erzgebirge. Sogar ganz ohne Heiner-Müller-Tricks.

»Zeitschrift für Ideengeschichte: Weltmacht DDR«. Ausgabe Winter 2025. Hrsg. v. Christian Neumeier u. Danilo Scholz. C. H. Beck, 128 S., br., 20 €.

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