Die gefährliche Unkultur der Direktwahlfrage

Kanzler werden aus gutem Grund vom Parlament bestimmt. Gegen die demoskopische Befeuerung des populistischen Bonapartismus

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 3 Min.

Martin Schulz, diese Nachricht hört man jetzt wieder häufiger, ist Angela Merkel hoffnungslos unterlegen, wenn das Amt des Bundeskanzlers in einer Direktwahl vergeben würde. Vor ein paar Wochen war das noch anders herum, man lebte da noch in Zeiten des Schulz-Hypes, diverse Zug-Metaphern galten noch als verdammt originell. Das ist ferne Vergangenheit. Doch um die fortdauernde Krise der SPD soll es hier nicht gehen.

Sondern um einen fragwürdigen Teil der demoskopischen Kultur - die Direktwahlfrage. »Der Bundeskanzler wird«, heißt es im Grundgesetz, »vom Bundestage ohne Aussprache gewählt«. Das steht nicht einfach so in der Verfassung, es ist darin die besondere Rolle des Parlaments verankert, das durch seine Wahl den Regierungschef legitimiert und ihn auch zu kontrollieren imstande ist, und sei es in der Weise der Absetzung durch ein Misstrauensvotum. Wer Kanzler wird, hängt von der Zusammensetzung des Parlaments ab, und die ist ein Ergebnis der Stärke von Parteien. Es ist dies ein Kerngedanke der hier gepflegten parlamentarischen Demokratie.

Eine Direktwahl des oder der Bundeskanzlerin liegt gewissermaßen in der entgegengesetzten Richtung - und auf einer sehr schiefen Ebene. Indem eine Reihe von Umfrageinstituten mit ihrer Direktwahlfrage diese im Raum des politisch Denkbaren verankern, befördern sie in letzter Konsequenz populistischen Bonapartismus und die Schwächung der Legislative. Gerade in Zeiten, in denen als »Bewegung« verkleidete Ein-Personen-Politik immer mehr in Mode kommt und die Zurichtung demokratischer Auseinandersetzung auf Gesichter dazu beitragen kann, die Sehnsucht nach dem Autoritären anzufachen, ist das keine Nebensächlichkeit.

Zugegeben, die einst großen Parteien haben diese Entwicklung selbst mit angetrieben: Die Nominierung von in keinem Gesetz und keiner Parteisatzung vorgesehenen »Kanzlerkandidaten« ist sozusagen die andere Seite der falschen Medaille. Wird diese der Politik umgehängt, interessiert man sich vor allem für Personen, wo es um Inhalte gehen müsste; um personalisierte Eindeutigkeiten, wo die Bearbeitung von Widersprüchen nötig ist.

Die Überbetonung einzelner Gesichter hat auch die Binnenkultur der Parteien verändert, und das nicht zum Besseren. Nicht zuletzt dürfte eine durch Umfragen und deren mediales Echo miterzeugte »Kann-der-das-überhaupt-Stimmung« die Sehnsucht nach den »starken Männern« noch weiter erhöhen. Zumal bekannt ist, dass Umfragen nicht bloß Gradmesser politischer Stimmungen sind, sondern diese auch selbst beeinflussen.

Wohin das führt, lässt sich derzeit unter anderem in Österreich beobachten, wo sich der Außenminister eine ganze Partei zur persönlichen Vorfeldorganisation gemacht hat. Und überhaupt: Die andere Seite der Krise der repräsentativen Demokratie ist der globale Höhenflug eines neuen Autoritatismus. Den gibt es nicht nur in Präsidialsystemen wie in Russland oder Diktaturen wie in der Türkei. Es sollte sich niemand in Sicherheit wiegen: Die politische Pest könnte auch hierzulande neu grassieren. Sie tut es im Kleinen ja bereits: Wer wissen will, wie viele für »starke Führer« ansprechbar sind, braucht nur einmal in Studien wie jene über »Die enthemmte Mitte« nachzuschlagen.

Die Direktwahlfrage einiger Demoskopen ist also nicht nur überflüssig, weil sich daraus zur Bewertung der führenden Politiker gar keine sinnvollen Aussagen ableiten lassen, sondern lediglich solche über eine aus gutem Grund gar nicht bestehende Möglichkeit, abzustimmen. Die Woche für Woche medial inszenierte Direktwahlfrage hält auch einen Resonanzboden am Schwingen, auf dem letzten Endes nur eines tanzt: das Autoritäre. Es gibt keinen Grund, dies auch nur irgend für hinnehmbar zu halten.

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