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Ungleichheit ist kein Naturgesetz
Das Kapital ist heute gieriger denn je, meint die französische »L’Humanité«
Marx verglich das Kapital mit »toter Arbeit«, die »nur dadurch zum Leben erwacht, dass sie – wie ein Vampir – lebendige Arbeit aussaugt, und umso lebendiger wird, je mehr sie diese aussaugt«. Diese Metapher hat nichts von ihrer Aktualität eingebüßt: Selten erschien das Kapital so gierig und aufgebläht wie heute.
Die linke Medienlandschaft in Europa ist nicht groß, aber es gibt sie: ob nun die französische »L’Humanité« oder die schweizerische »Wochenzeitung« (WOZ), ob »Il Manifesto« aus Italien, die luxemburgische »Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek«, die finnische »Kansan Uutiset«, der britische »Morning Star« oder »Naše Pravda« aus Prag. Sie alle beleuchten internationale und nationale Entwicklungen aus einer progressiven Sicht. Mit einer Reihe dieser Medien arbeitet »nd« bereits seit Längerem zusammen – inhaltlich zum Beispiel bei unserem internationalen Jahresrückblick oder der Übernahme von Reportagen und Interviews, technisch bei der Entwicklung unserer Digital-App.
Mit der Kolumne »Die Internationale« gehen wir einen Schritt weiter in dieser Kooperation und veröffentlichen immer freitags in unserer App nd.Digital einen Kommentar aus unseren Partnermedien, der aktuelle Themen unter die Lupe nimmt. Das können Ereignisse aus den jeweiligen Ländern sein wie auch Fragen der »großen Weltpolitik«. Alle Texte unter dasnd.de/international.
Das belegen Daten des jüngsten Berichts des World Inequality Lab, laut denen die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung mehr »verdienen« als die restlichen 90 Prozent. Der ärmere Teil verfügt über weniger als 10 Prozent des globalen Gesamteinkommens. Das ist eine extreme Einkommenskonzentration.
Der Trend ist beim Vermögen derselbe: Die reichsten 10 Prozent verfügen über drei Viertel des weltweiten Vermögens, während die ärmere Hälfte nur 2 Prozent besitzt. Noch schlimmer: Die reichsten 0,001 Prozent, das sind weniger als 60 000 Multimillionäre, kontrollieren mittlerweile dreimal so viel Vermögen wie die Hälfte der Menschheit. An der Spitze dieser ultraprivilegierten Elite besitzen allein 3028 Milliardäre die Rekordsumme von 16,1 Billionen US-Dollar – 2 Billionen mehr als vor einem Jahr.
Dieses räuberische Verhalten hat sich in den letzten Jahrzehnten in erstaunlichem Tempo beschleunigt. Seit den 90er Jahren ist das Vermögen der Milliardäre exponentiell gewachsen. Dies ist eine logische Folge des seit den frühen 80er Jahren weltweit beobachteten starken Rückgangs des Anteils der Wertschöpfung, der an die Arbeitnehmer ausgeschüttet wird.
Die französische Tageszeitung »L'Humanité« wurde 1904 vom Sozialisten Jean Jaurès gegründet. Ursprünglich als Sprachrohr für die sozialistische Bewegung gedacht, vertritt sie seitdem konsequent linke und sozialistische Positionen. Sie setzt sich für soziale Gerechtigkeit, Arbeitnehmer*innenrechte und weltweiten Frieden ein.
Die Zeitung ist das ehemalige Zentralorgan der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF). 1999 entfiel der explizite Hinweis auf die Partei. Seit 2004 gehört die Zeitung zu 40 Prozent der PCF, Freund*innen und Mitarbeiter*innen halten je zehn Prozent, die Gesellschaft der Freunde 20 Prozent und Großunternehmen wie Sparkassen, der Sender TF1 und der Rüstungskonzern Lagardère den Rest. Heute arbeiten bei der »L'Humanité« etwa 60 Redakteur*innen; die Zeitung hat etwa 40 000 Abonnent*innen. Das 1930 erstmals begangene Pressefest, die Fête de L’Humanité, ist bis heute ein wichtiger Termin des gesellschaftlichen Lebens in Frankreich.
Die an Aktionäre ausgeschütteten Dividenden sind sprunghaft gestiegen – auf Kosten von Investitionen und Arbeitsplätzen. Infolgedessen hat eine Handvoll Einzelpersonen beispiellose wirtschaftliche und finanzielle Macht angehäuft, während Milliarden von Menschen weiterhin ihre grundlegendsten Bedürfnisse nicht befriedigen können.
Eine solche Verzerrung ist nicht tragbar. Denn diese Ordnung ist nicht nur ungerecht, sondern auch ineffizient und gefährlich. Sie stiftet Unruhe, untergräbt Demokratien, spaltet Gesellschaften und schürt Krisen und Konflikte. Ungleichheit ist kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis bewusster politischer Entscheidungen, die es zu revidieren gilt. Um diese verkehrte Welt wieder in Ordnung zu bringen.
Dieser Text ist am 9. Dezember in unserem Partnermedium »L’Humanité« (Frankreich) erschienen. Der Beitrag wurde nachbearbeitet und gekürzt.
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