Schwarze Szene strömt zu Pfingsten an die Pleiße

Die sächsische Messestadt Leipzig bereitet sich auf das 26. Wave-Gotik-Treffen vor - das Festival ist inzwischen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor

  • Filip Lachmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Alljährlich zu Pfingsten trägt Leipzig Schwarz. Mehr als 20 000 Anhänger der Gothic-Szene strömen an diesem verlängerten Wochenende regelmäßig in die Messestadt zum Wave-Gotik-Treffen, kurz WGT. 1992 fand es zum ersten Mal statt - und es gibt weltweit wahrscheinlich kaum eine vergleichbare Szeneveranstaltung, die sich so selbstverständlich ins Stadtbild einfügt. Angst braucht niemand zu haben vor den teilweise recht unheimlich kostümierten Festivalbesuchern, im Gegenteil: die Sachsen-Metropole freut sich auf die »Schwarzen«. Die anfängliche Skepsis der Leipziger ist längst einer großen Schaulust gewichen.

Das WGT ist vor allem ein Festival, das alle Sinne anregt. Unübersehbar sind die Heerscharen von Szeneanhängern. Teilweise allein, aber zumeist in kleineren Gruppen flanieren sie in ihren aufwendig gestalteten Roben durch das gesamte Stadtgebiet. Ob in Parks, Einkaufsstraßen oder Kultureinrichtungen - allerorts ziehen die mystischen Gestalten die Blicke auf sich. Die meisten Festivalteilnehmer lockt gerade das Motto »Sehen und gesehen werden« in die Stadt an der Pleiße. Bereitwillig werfen sie sich bei Fotoanfragen in Pose und geben geduldig Auskunft über die Besonderheiten ihrer Kostüme. Inoffizieller Höhepunkt des pompösen Schaulaufens ist das Viktorianische Picknick im Clara-Zetkin-Park bereits am Freitagnachmittag. Dort zeigt sich schnell, dass sich die »Schwarze Szene« überraschend farbenfroh in Schale werfen kann.

Selbst wenn die Gothics einmal nicht zu sehen sind, nimmt man dennoch ihre Anwesenheit wahr. Unverkennbar ist der süßlich-schwere Duft von Patchouli, dem Gothic-Parfum schlechthin, der durch die Straßen wabert. Aber noch deutlicher ist das WGT akustisch zu vernehmen. Allein der Festivalveranstalter konnte bisher mehr als 140 Künstler für die 26. Auflage des Treffens gewinnen. Darunter sind Szenegrößen wie VNV Nation, Lebanon Hanover oder S.P.O.C.K., aber auch jüngere Bands wie She Past Away aus der Türkei. Neben Konzerten bietet das WGT verschiedene Lesungen, Ausstellungen, eine Szenemesse sowie zwei Mittelaltermärkte. Flankierend dazu stimmen auch zahlreiche Klubs, Bars, Museen und Theater ihr Programm auf die Schwarze Szene ab.

Selbst die Leipziger Oper sowie das Gewandhaus zählen auf die düstere Gesellschaft. Sowohl das städtische Marketing als auch die Händler und Gastronomen der Stadt wissen das WGT seit vielen Jahren für sich zu nutzen. Längst ist das Festival nicht nur fester Bestandteil des städtischen Kulturkalenders, sondern auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Denn in den Regalen der Drogerien dominieren plötzlich überwiegend dunkelfarbige Kosmetikartikel, der Bäcker um die Ecke bietet schmackhafte Vampirzähne feil, und der Softeisstand garniert auf Wunsch die kühle Leckerei mit blutroter (Himbeer-)Soße.

Mehrere Millionen Euro hinterlassen die Gothics erfahrungsgemäß in den Kassen der lokalen Wirtschaft. Vor allem für Hotels und Herbergen in der 570 000-Einwohner-Stadt ist das Festival ein einträgliches Geschäft. Nicht selten sind sie über Pfingsten weitestgehend ausgebucht.

Nur auf den ersten Blick erstaunlich scheint die Tatsache, dass bei den unzähligen Events im Rahmen des Festivals auch zahlreiche »normale« Städter anzutreffen sind. Doch anlässlich des WGT locken viele Einrichtungen nicht nur mit speziellen Sonderschauen und Führungen Gäste aus nah und fern an, manche gewähren zudem Einblicke in Bereiche, die der Öffentlichkeit sonst zumeist verborgen bleiben.

Einer dieser Orte ist der Leipziger Südfriedhof. Bekanntlich üben Trauerstätten eine besondere Faszination auf die Gothics aus. So öffnet die weitläufige Einrichtung, deren zahllose historische Grabmale Festivalbesuchern häufig als Kulisse für Fotoshootings dienen, über Pfingsten auch die Trauerhallen sowie das Krematorium.

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