Gleisanschluss für eine Sandbank

Der Hindenburgdamm nach Sylt wird 90 Jahre alt - Zeit für eine Umbenennung? Doch wie lange gibt es ihn noch?

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Westerland. Wenn Jörn Dieck nach Sylt will, fährt er fast immer mit dem Auto. Der 43-Jährige zählt zu den wenigen Menschen, die auch neben den Schienen über den Hindenburgdamm dürfen - und kaum einer kennt die Nabelschnur der Insel so gut wie er. Als Bauingenieur kümmert sich Dieck um das wohl außergewöhnlichste Bauwerk der Bahn in Deutschland. Am 1. Juni vor 90 Jahren wurde es vom damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (1847-1934) eröffnet.

Er sei vermutlich der einzige Bahningenieur, der auch einen Deich zu betreuen hat, sagt Dieck, dessen Auto gerade von den Basalt- und Granitsteinen auf der Fahrstrecke durchgeschüttelt wird. Der Sicherheitsgurt zieht sich bei der Tour über den Rettungsweg zwischen Gleisen und Meer fester. Vier- bis fünfmal pro Jahr inspiziert Ingenieur Dieck den Damm. Er schaut dann nach Schäden durch Wühlmäuse oder Sturmfluten - und vor allem nach den weit ins Watt ragenden Lahnungen, die die Schienen - sie liegen knapp acht Meter über dem Meer - schützen. »Je mehr Vorland wir haben, desto sicherer.« Hunderttausende Euro investiert die Deutsche Bahn hier jährlich, um die Nordsee weiterhin auf Abstand zu halten.

Der Bau - für Spötter bloß der Gleisanschluss für eine Sandbank - sei ein Prestigeprojekt für die damalige Regierung gewesen, erzählt Diecks Vorgänger Rainer Damschen, der die Verbindung bis 2012 jahrzehntelang verantwortet hatte. Nach der Abstimmung über die Grenzziehung zwischen Deutschland und Dänemark im Jahre 1920 fiel Hoyer, der damalige Haupthafen für die Fähre nach Sylt, an Dänemark. Viele Insulaner fühlten sich nun ausgeschlossen. Von 1923 bis 1927 bauten rund 1500 Arbeiter auf 50 Metern Breite und mehr als elf Kilometern Länge an dem Streifen Festland in der Nordsee. Inzwischen ist der Damm aus Sand und Erde nur noch gut acht Kilometer lang: Zwei Köge - weiteres Land - wurden gewonnen.

Sylt ohne den Damm ist für Inselbürgermeister Nikolas Häckel kaum vorstellbar: »Das ist unsere Nabelschnur. Zu sagen, wie wäre es ohne, ist zu sagen, wie wäre es ohne Fernseher.« Der Damm sei »Fluch und Segen«. Wenn Züge wegen kaputter Kupplungen ausfallen oder Bauarbeiten die Strecke lahmlegen, spüre man die Abhängigkeit. »Unsere Lebensader macht uns das Leben schwer«, klagt Häckel.

Der Klimawandel bedroht den Damm. »Der Meeresspiegel steigt, dennoch hoffe ich mal, dass es noch etwas länger dauert, als manche prognostizieren«, sagt Ingenieur Dieck. Das Ende des Damms nach Sylt? »Wir glauben nicht, dass wir das noch erleben«, sagt er. Er weiß aber auch: Heute würde man in einem viel flacheren Winkel und viel breiter bauen, damit das Wasser langsamer auflaufen kann.

Neben der Zukunft wird auch die Vergangenheit des Damms diskutiert. Historiker Thomas Steensen wünscht sich angesichts des Namens eine Umbenennung. Hindenburg habe zum Aufstieg Hitlers geschwiegen, sagt der Direktor des Nordfriisk Instituut, dem Sprachrohr der friesischen Minderheit. »Das macht ihn zu einer höchst problematischen Figur.« Neue Forschungen belegen, geht die Namensgebung für den Damm nach Sylt auf den damaligen Generalbahndirektor Julius Dorpmüller zurück, der später als NS-Verkehrsminister auch an der Deportation von Juden beteiligt war.

Steensen will künftig lieber vom Sylter Damm sprechen - zumal es untypisch sei, dass solch ein Damm überhaupt einen Paten habe. »Es gibt den Rügendamm und den Nordstrander Damm«, sagt er. Von der Deutschen Bahn als Rechtsnachfolgerin der Reichsbahn heißt es dazu jedoch: »Der Name Hindenburgdamm verweist auf ein Stück Zeitgeschichte und ist längst ein Markenzeichen.« Für eine Namensänderung gebe es daher keinen Anlass. Rainer Damschen erklärt, bei der Bahn spreche man eh nur vom Abschnitt Klanxbüll-Morsum und den Streckenkilometern 217 bis 226. Auch im Kursbuch tauche der Name nicht auf.

Jörn Dieck, ausgerüstet mit Forke, Wathose und und Neigungsmesser, blickt auf die silberfarben schillernden Wattflächen. Um den Namen des Damms, sagt er, mache er sich keine Gedanken. Der Erhalt des Bauwerk ist ihm wichtiger. Wie viel er dafür tun darf, wird jährlich neu festgelegt - denn es herrscht auch Konkurrenz zum Naturschutz: »Ein bisschen Interessenskonflikt ist da schon.« Aber am Ende sei man sich immer einig.

Bürgermeister Häckel sagt dagegen: »Es kann nie genug getan werden.« Die Gemeinde entwerfe inzwischen sogar selbst Szenarien, was der Damm noch alles aushält. dpa/nd

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