Gedämpft und gedimmt

Vor dem Finale der Champions League ist die Stimmung in der Gastgeberstadt Cardiff angespannt

  • Frank Hellmann, Cardiff
  • Lesedauer: 4 Min.

So richtig viel zu tun hatte der fliegende Händler am Freitag auf der St. Mary Street noch nicht, der sein Wägelchen mit Erinnerungsstücken zum diesjährigen Champions-League-Finale durch die Fußgängerzone von Cardiff schob. Zehn Pfund kosten bei ihm die Schals. Zum Showdown zwischen Real Madrid und Juventus Turin, die sich nur einen Steinwurf entfernt vom Brewery Quarter, dem beliebten Bierviertel mit seinen unzähligen Pubs, am Samstag (20.45 Uhr MESZ/live ZDF) im Millennium Stadium duellieren. Polizisten mit Signalwesten hatten den Händler ständig im Auge, Fußballfans waren nur vereinzelt zu erspähen.

Die Mehrzahl der wirklich erwarteten 170 000 Anhänger soll tatsächlich erst am Spieltag eintreffen. Wer erlebt hat, wie sich im Vorjahr die italienische Metropole Mailand beim spanischen Stadtduell zwischen Real und Atlético eingelassen hat, wie Zehntausende am Tag vorher auf dem Fanfest vor dem Dom eine gigantische Party feierten, der erlebt nun in der walisischen Hauptstadt mit seinen gerade 350 000 Einwohner das abgespeckte Programm.

In der Cardiff Bay ist Endspiel-Botschafter Ian Rush zwar am Donnerstag im Schlauchboot über den River Taff gefahren, um den Henkelpott abzuliefern, mit dem sich Fußballfans für Selfies knipsen können, aber nicht mal ein Public Viewing wird es hier geben. Und auf Knopfdruck kann keine Fußballstimmung in einer Stadt erzeugt werden, der es vor allem an Unterbringungsmöglichkeiten fehlt.

Oder ist es die angespannte Sicherheitslage, die die Vorfreude heruntergedimmt hat? Rund um die Uhr werden die Umläufe bewacht, die Jogger sonst am Fluss nutzen, um ihre Runde um das Nationalstadion zu drehen. Unmöglich dieser Tage. Und die massiven Poller, die aus Furcht vor Anschlägen an abgeriegelten Straßen aufgestellt sind, müssen wohl auch sein, treiben allerdings manchen Anlieger die Zornesröte ins Gesicht.

Auch die örtliche Presse will nicht in unkritische Jubelarien einstimmen. Im Gegenteil. »Echo South Wales« zeigte am Freitag statt Fußballstars lieber Bettler auf der Titelseite, die wegen der Champions-League-Party erbarmungslos von ihren Rückzugsorten vertrieben werden. Der UEFA sind wohl die vielen ungeputzten Stellen dieser putzigen City schon nicht genehm. Immerhin aber hat sich die Heimspielstätte der walisischen Rugby-Nationalmannschaft herausgeputzt. Das zu diesem Ereignis 74 500 Besucher fassende Nationalstadion bietet einen würdigen Rahmen - auch wenn es ein Indoor-Event wird, denn das mobile Dach bleibt zu. Nicht wegen des am Freitag einsetzenden Nieselregens, sondern aus Furcht vor ferngesteuerten Drohnen.

Unfallfrei haben die eigentlichen Protagonisten in ihren Charterfliegern den westlichen Rand Großbritanniens erreicht. Die Juve-Delegation durfte dabei am Vortag zuerst in den Ring steigen, um sich auf der obligatorischen Pressekonferenz zu verlautbaren. Für Trainer Massimiliano Allegri sind Taten ohnehin wichtiger als Worte, und der 49-Jährige könnte alle Skepsis zu seiner Person vertreiben, würde sein unaufgeregter Stil in die ultimative Krönung münden: Nach 21 Jahren den Henkelpott nach Turin holen und zugleich das Triple perfekt machen, womit - mehr als ein Nebeneffekt - auch die Karriere von Kultkeeper Gianluigi Buffon vollendet wäre.

Dabei wird sich die Alte Dame nicht nur auf seine betagte Defensive mit einer blind harmonierenden Dreierkette verlassen, sondern, wie gegen Barcelona und Monaco, mit schnellen Gegenstößen punktgenaue Nadelstiche setzen. Gonzalo Higuain, Paulo Dybala und Mario Mandzukic heißen die Hoffnungsträger.

Für die Belegschaft von Real Madrid steht nicht minder viel auf dem Spiel: die erste Titelverteidigung seit Gründung des Champions-League-Formats im Jahre 1992. »Wenn wir es schaffen, könnte man durchaus von einer Ära der vergangenen Jahre sprechen«, weiß nicht nur Toni Kroos, der im zentralen Mittelfeld gegen seinen Nationalmannschaftskollegen Sami Khedira wohl nicht nur einen Zweikampf bestreitet.

Zinedine Zidane, fünf Jahre selbst bei Juve aktiv, geht von einem »harten Finale« aus: »Wir werden viel arbeiten müssen«, glaubt der Real-Trainer. 2014 noch als Assistent unter Carlo Ancelotti und 2016 als Alleinverantwortlicher hat der 44-Jährige miterlebt, wie die königliche Garde tatsächlich weniger ihren künstlerischen Cristiano Ronaldo, sondern vielmehr alle kämpferischen Komponenten benötigte, um einmal in der Verlängerung, dann im Elfmeterschießen den als Außenseiter gehandelten Widersacher Altlético zu zähmen.

Auch diesmal dürfte es allein mit spielerischer Klasse nicht reichen, allein weil der hoch geschätzte Gegner so gut verteidigt. »Wir wissen, dass Juve eine großartige Mannschaft ist, das hat sie gezeigt«, sagt Trainer Zidane, der mutmaßt: »Es wird ein wunderbares Finale.« Wenn alles friedlich bleibt. Dann kommt auch noch Stimmung auf, und der fliegende Händler auf der St. Mary Street kann vielleicht sogar all seine Schals loswerden.

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