Prekär im Wolkenkratzer

In der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main sind Arbeitnehmerrechte nichts wert

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main steht nicht nur mitunter wegen ihrer Geld- und Austeritätspolitik in der Kritik, sondern auch als Arbeitgeber. Denn viele hochqualifizierte Leiharbeiter im IT-Bereich sind seit über fünf Jahren und einige bereits seit mehr als zehn Jahren unter schlechteren Bedingungen als die EZB-Kernbelegschaft im Einsatz sind. Viele von ihnen stammen aus Süd- und Osteuropa. »Sie stehen stets unter dem Druck, den Job zu verlieren«, so der Gewerkschafter und EZB-Angestellte Johannes Priesemann auf nd-Anfrage. Er ist Vorsitzender der zuständigen Gewerkschaft IPSO (International and European Public Services Organisation), die sich als Interessenvertretung aller in der EZB eingesetzten Beschäftigten und Leiharbeitskräfte versteht.

Weil Leiharbeit als Dauerzustand nach der jüngsten Neufassung des deutschen Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) unhaltbar ist, möchte das EZB-Management nun bestimmte, bisher von 120 betroffenen Beschäftigen erbrachte IT-Leistungen als Auftrag komplett an eine externe Firma vergeben. »Die EZB hat vor der Einstellung von Leiharbeitnehmern nie die Arbeitnehmervertretung gefragt und wendet das AÜG nur partiell an«, so Priesemann. Das angedachte Outsourcing bedeute für die Betroffenen zusätzlichen Druck auf die Gehälter und dauerhafte Jobunsicherheit. Auch für die EZB bringe dieser Plan erhöhte Risiken im Umgang mit hochsensiblen Daten etwa bei der Bankenaufsicht oder Geldpolitik bis hin zu einem möglichen Kontrollverlust über entscheidende Daten und Systeme.

Aufgrund des Sonderstatus der EZB gibt es hier keinen Betriebs- oder Personalrat nach deutschem Recht. Als Mitarbeitervertretungsorgan existiert lediglich ein »Staff Committee« ohne wesentliche Beteiligungsrechte. So kann das Gremium bei Konflikten mit der EZB-Spitze auch nicht deutsche und europäische Gerichte anrufen, um gegen die Verletzung von Mitbestimmungsrechten zu klagen und Ansprüche durchzusetzen. Diese Verletzung der Würde der Mitarbeiter sei mit der demokratischen Tradition in Europa nicht vereinbar und im Sinne eines sozialen und solidarischen Europas unzumutbar, so Priesemann. Er bekräftigte die Forderung nach Verzicht auf Outsourcing in der IT und anderen Bereichen, Übernahme durch die EZB sowie feste Stellen zur Weiterbeschäftigung der 120 Betroffenen bei gleichen Lohn- und Arbeitsbedingungen. Es sei »völlig inakzeptabel, dass langgediente EZB-Mitarbeiter und ihre Leiharbeiterkollegen sich nun mit einem riskanten und teuren Outsourcing-Projekt konfrontiert sehen«, erklärte der Gewerkschafter.

Die prekäre Lage der um ihre Zukunft bangenden IT-Kräfte ist vor allem eine Folge des äußerst knappen Stellenschlüssels, den der Rat der EZB vorgegeben hat. So werden Leiharbeiter offenbar als »Sachkosten« verbucht. IPSO setzt sich seit geraumer Zeit für eine Beendigung der prekären Beschäftigungsbedingungen rund um die EZB ein und hat dies auch schon gegenüber Mitgliedern des EU-Parlaments und Regierungen bekräftigt.

»Die EZB kann Geld drucken, aber die Beschäftigten werden mit Leiharbeit und Kettenbefristungen erpresst. Das ist tödlich«, erklärte der der EU-Abgeordnete Fabio de Masi (LINKE) bei der Kundgebung am Mittwoch. »Eine Zentralbank braucht brillante Mitarbeiter und keine Ja-Sager, die ständig Angst um ihren Job haben.« Unterstützung komme auch von EU-Parlamentariern aus SPD und CDU, so Priesemann. Doch dieser Zuspruch hat noch nicht ausgereicht, um einen entsprechenden offiziellen und verbindlichen Beschluss des EU-Parlaments herbeizuführen. Die EU-Mitgliedsregierungen, die Einfluss auf das EZB-Management haben, weisen IPSO-Forderungen mit Verweis auf die vermeintliche »Unabhängigkeit der Notenbank« zurück. Bereiche wie Reinigung, Catering und Wachdienste rund um die EZB-Zentrale sind übrigens bereits outgesourct.

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