Corbyns linkes Erfolgsrezept

Terror in Großbritannien: Ingar Solty zu der Frage, wie eine fortschrittliche Sicherheitspolitik im Inneren aussehen könnte

  • Ingar Solty
  • Lesedauer: 3 Min.

Gemeinhin galt bislang, dass terroristische Anschläge der politischen Rechten Auftrieb verschaffen. Mit autoritärer Haudrauf-, Durchgreif- und mitunter sogar kriegerischer Racherhetorik schien es ihr bislang zu gelingen, von solchen barbarischen Akten politisch zu profitieren. Dies auch, obwohl die von der Rechten vorgeschlagenen Maßnahmen zwar Handlungsfähigkeit demonstrieren, aber die Gefahr von Anschlägen nicht mindern können. Wenn Menschen, gerade Einzeltäter, unter dem Radar der Sicherheitsbehörden Anschläge begehen wollen, dann werden sie dies immer tun können. Entsprechend wäre es Aufgabe der Politik, den Terrorismus zwar als barbarische, aber nicht irrationale, sondern politische Taktik in einem Konflikt, zu dem man selbst mit oft nicht minder barbarischen Mitteln etwas beigetragen hat, zu begreifen und zugleich die sozialen und politischen Wurzeln des Terrorismus zu beheben. Solange es diese Wurzeln gibt, solange brauchen Täter sich nicht auf illegalen Wegen Waffen besorgen, sondern können jederzeit Autos in Mordwerkzeuge verwandeln - wie bei dem jüngsten Anschlag in London geschehen.

Bemerkenswert ist aber nun nicht nur, welche relative Gelassenheit mittlerweile in den westlichen Gesellschaften angesichts der Anschläge herrscht. Bemerkenswert ist insbesondere, dass die politische Rechte in Gestalt der britischen Premierministerin Theresa May nicht von den jüngsten Attacken in Manchester und London profitiert hat. Im Gegenteil, die Aufholjagd der Labour-Partei unter Jeremy Corbyn setzte sich stattdessen noch fort.

Wie war das möglich? Tatsächlich ist auch May nicht davor zurückgeschreckt, den ganzen Katalog der rechten Sicherheitsrhetorik aufzufahren, einschließlich der Aussage, sie erwäge ein Aussetzen der Menschenrechte, um der Terroristen besser habhaft werden zu können. Sicherlich hat es Corbyn politisch genützt, dass der Ruf nach mehr Überwachung nicht so recht zieht, wenn May von 2010 bis 2016 selber sechs Jahre lang Innenministerin unter Premierminister David Cameron war. Und es fiel in ihren Amtsbereich, dass zwei der drei Terroristen von der London Bridge der Polizei und dem Geheimdienst seit Jahren wohlbekannt waren und einer von ihnen sogar in einer Fernsehdokumentation als der »Islamist von nebenan« firmierte. Entsprechend war klar, dass mehr Überwachung und Polizeibefugnisse diese Tat nicht hätten verhindern können.

Genau das hat Corbyn zum Thema gemacht: Mittels Steuersenkungen für Reiche und Kürzungen im öffentlichen Sektor durch die Cameron-Regierungen wurden eben nicht nur in den Bereichen Bildung und Gesundheit Stellen und Ausgaben gekürzt, sondern auch bei der Polizei. Denn der bürgerliche Staat verspricht zwar Sicherheit und mehr Polizei, aber bezahlen will er dafür nicht - schon gar nicht in Gestalt der sozialen Sicherheit und gesellschaftlichen Teilhabe, die Voraussetzung für diese Sicherheit ist. Entsprechend konnte es Corbyn zu seinem Programm der Wiederherstellung des Sozialstaats machen, dass mit der Besteuerung der großen Vermögen nicht nur das marode, öffentliche Gesundheitssystem finanziert und die Studiengebühren abgeschafft, sondern auch zehntausend mehr Polizisten eingestellt werden sollen.

Pluspunkte gab es für Corbyn vor allem dadurch, dass er nicht locker ließ klarzumachen, dass Anschläge von Sympathisanten des Islamischen Staates (IS) niemals zu verhindern seien, ihre Wahrscheinlichkeit aber verringert werden könne, wenn die westliche Kriegspolitik in der arabischen Welt beendet würde. Aus Sicht der IS-Anhänger machen die Kriege des Westens dort die Länder hier zum Kriegsterritorium, auf dem mit Mitteln des Terrorismus gezielt gegen die Zivilbevölkerungen gekämpft werden kann, auch weil die westliche Politik im arabischen Raum seit Jahrzehnten eben dort ebenfalls Hunderttausende zivile Todesopfer wenigstens in Kauf genommen hat.

Die Botschaft Corbyns ist also: Wer Terrorismus im Westen bekämpfen will, muss seine Außenpolitik grundlegend ändern und zugleich politökonomische Antworten auf die soziale Entfremdung und Diskriminierung der arbeitenden Klassen einschließlich ihrer muslimischen Minderheit im Westen finden. Diese Devise sollte sich die Linke in den Industrieländern insgesamt zu eigen machen. Denn nur so kann sie Deutungsangebote machen und die benötigte Handlungsfähigkeit erlangen, die sich die Bevölkerungen im Westen wünschen.

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