Ein Koch zwar, aber ohne Lebenslauf

Auf der Ausbildungsmesse treffen Geflüchtete auf Unternehmen - doch Hoffnungen werden oft enttäuscht

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

In den Gängen der Landesarbeitsagentur ist es an diesem Donnerstagabend so voll, dass man sich nur in kleinen Schritten nach vorn drängeln kann. Im Angebot sind Ausbildungsplätze für Geflüchtete. 53 Berliner Unternehmen bieten 250 solcher Plätze an - rund 1700 junge Menschen aus Syrien, Iran, Afghanistan und Eritrea sind gekommen, um sich zu informieren.

Einer von ihnen ist der 22-jährige Eritreer Dawit A., der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. Er lebt seit fast zwei Jahren in Berlin, hat die Sprache gelernt, Praktika in Handwerksbetrieben absolviert und weiß genau, was er werden will: Tischler oder Anlagenmechaniker Gas, Wasser, Sanitär, besser bekannt unter dem alten Namen Klempner. Seine Bewerbungen waren bisher nicht erfolgreich. Ist die Ausbildungsmesse seine Chance?

»Sie ist jedenfalls eine Chance für Berlin«, sagt Bernd Becking, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg. Fast 1900 nicht besetzte Ausbildungsplätze gibt es zurzeit in der Hauptstadt. In Pflegeberufen, Handwerk, Transportgewerbe, Gastronomie und Verwaltung. Da kommen die 900 jungen geflüchteten Menschen, die seine Behörde fördert, gerade recht. Rund die Hälfte aller Flüchtlinge sind im ausbildungsfähigen Alter, die meisten von ihnen sind junge Männer wie Dawit A. »In unserer eigenen Behörde bilden wir acht Geflüchtete aus. Der Aufwand ist höher, aber die Menschen sind motivierter«, sagt Becking.

Alexander Fischer (LINKE), Arbeitsstaatssekretär, sagt: »Eine abgeschlossene Berufsausbildung ist der Schlüssel für die Integration in den Arbeitsmarkt.« Berlin plant, Unternehmen finanziell zu fördern, wenn sie Geflüchtete ausbilden. Denn vor und während einer Ausbildung brauchen sie besondere Förderung, weil sie andere Voraussetzungen mitbringen als Auszubildende, die die Schulen hierzulande besucht haben.

Diese Erfahrung macht gerade die Vertreterin eines großen Hotels auf der Messe. Ein Afghane informiert sich über die Möglichkeit, den Beruf des Kochs zu erlernen. Gekocht hätte er schon immer, als Kind im Imbiss der Familie und später auf der Flucht zwei Jahre lang in einem Restaurant im Iran. Die Frau strahlt. »Dann freue ich mich auf Ihren Lebenslauf.« Sie reicht ihm ihre Visitenkarte, zeigt auf ihre Mailadresse. »Schicken Sie ihn da hin.« Aber damit kann der Afghane nichts anfangen. Kochen kann er. Einen Lebenslauf schreiben und eine Mail versenden kann er nicht. Die Frau findet eine Lösung, gibt ihm einen Termin. »Dann schreiben wir den Lebenslauf eben zusammen.«

Die Vertreterin am Stand des rbb hingegen kann den Bedürfnissen von Dawit A. nicht entsprechen. »Tischler und Anlagenmechaniker bilden wir nicht aus. Im technischen Bereich können Sie bei uns Fachmann für Veranstaltungstechnik werden.« Was ist das?, will der Eritreer wissen. »Sie müssen die Aufbauten im Studio bauen.« Was sind Aufbauten, was ist ein Studio? Er geht weiter.

Am Stand einer Innung, die Anlagenmechaniker ausbildet, wird er enttäuscht. Ausgerechnet für seinen Traumberuf sind die Anforderungen in der deutschen Sprache höher als in den meisten anderen Ausbildungsberufen. Er müsste die Deutsch-Prüfung B2 absolvieren und dafür erneut mehrere Monate die Sprache lernen. Bis zum neuen Ausbildungsjahr kann er das nicht schaffen.

Doch ein paar Stände weiter bekommt er eine neue Anregung. Ein Transportunternehmen sucht händeringend neue Bahnfahrer. »Die Personalnot ist in unserer Branche noch höher als im Pflegebereich«, sagt der Vertreter. Dawit A. fände es spannend, am Fahrpult eines Zuges zu sitzen. Gut findet er auch, dass die Ausbildungszeit hier nur neun Monate beträgt und ihn dann ein attraktives Einkommen erwartet.

Am Nebenstand wirbt eine Reederei um Nachwuchs für Fahrgastschiffer. Das würde Dawit A. auch reizen. Aber der Stand ist so dicht umlagert, dass er gar keine Chance hat, seine Fragen zu stellen.

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