Kameras stoppen keinen
Nicolas Šustr hält Fakten für einen guten Ratgeber
Es war eine drastische Szene, die die Kamera auf der Zugangstreppe des U-Bahnhofs Hermannstraße im Oktober 2016 aufzeichnete. Mit voller Wucht kickte der Täter die scheinbar arglose Frau von hinten die Treppe hinunter. Tatsächlich half das Video nicht nur in diesem Fall, des Täters habhaft zu werden und ihm auch die Taten nachzuweisen. Verhindern konnten sie diese jedoch nicht. Das können nur Menschen. Auch im Falle Englands, wo man wie kaum woanders an die Videoüberwachung glaubt, konnten Kameras die Terroranschläge der jüngsten Zeit bloß dokumentieren, aber nicht verhindern.
Wenn es um einfache Gewalt geht, die sich meist im Affekt aus einer Situation heraus ergibt, ist die Tendenz trotz aller Aufregung eher günstig. Das zeigt der im Oktober vergangenen Jahres veröffentlichte Sicherheitsbericht 2015 der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Körperliche Delikte wie Raub oder Körperverletzung gegenüber Fahrgästen nehmen langfristig ab, so die Erkenntnis. Von 3723 Fällen im Jahr 2008 sank die Zahl auf 3066 Delikte 2015. Auch die Delikte gegen BVG-Personal sind rückläufig. 2015 waren es mit 628 deutlich weniger als die 1004 Vorfälle im Jahr 2012.
Wenn es überall Videoüberwachung gäbe und die brutalen Szenen, die sich Tag für Tag auf den Straßen und vor allem in den Wohnungen der Hauptstadt abspielen, öffentlich verfügbar wären, würden sich die Menschen mit Freude in U- und S-Bahn flüchten. Denn in Relation zu den über 1,5 Millionen Fahrgästen täglich allein in der U-Bahn geschieht dort statistisch weniger als im Rest der Stadt. Die wieder eingeführten gemeinsamen Streifen von Polizei und BVG-Sicherheitsdienst sind sicher nicht schlecht. Denn sie können im Zweifelsfall tatsächlich eingreifen. Das ist Prävention, Videos dienen nur der Sanktion.
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