Grünen-Spitze - oder »Ortsverein-Vorsitzende der CDU«?

Kontroverse Debatten zum Auftakt des Parteitags / Ströbele verlangt Position zu Afghanistan-Einsatz / Beschluss: Massentierhaltung soll binnen 20 Jahren enden

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Berlin. Mit absehbar kontroversen Debatten werden die Grünen am Samstag die Beratung über ihr Programm für die Bundestagswahl im Herbst fortsetzen. Bereits am Freitag hatte es einige klare Ansagen gegeben - die dreitägige Bundesdelegeirtenkonferenz hatte am Freitag mit einer Breitseite gegen die beiden Spitzenkandidaten Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt begonnen. Vom linken Parteiflügel gibt es offene Kritik am Kurs der beiden so genannten Realpolitiker, die von der Basis als Spitzenkandidaten gewählt worden waren. Eine kleinere Niederlage musste Göring-Eckardt bereits in der zweiten Abstimmung hinnehmen: Die Delegierten strichen den Satz »Für andere Ziele gibt es andere Parteien« aus dem Programm, für den sie argumentiert hatte.

Die Nachfolgerin des »Alt-Grünen« Hans-Christian Ströbele als Kandidatin im Wahlkreis Berlin-Kreuzberg kritisierte die Spitzenkandidaten Özdemir und Göring-Eckardt scharf. Eine Berliner Rentnerin habe ihr gesagt, die beiden erinnerten »weniger an Grüne als an Ortsverein-Vorsitzende der CDU«, erzählte Canan Bayram - und erhielt dafür Beifall von einem Teil der Delegierten. Unterstützung für Özdemir und Göring-Eckardt kam von Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, einem der prominentesten Realos. Sie seien »erfahrene und seriöse Spitzenkandidaten«, sagte Kretschmann. Mit ihrem Einsatz für Klima- und Artenschutz seien die Grünen heute wichtiger denn je.

Ströbele, einer der prominentesten linken Grüne, forderte von seiner Partei Klarheit über ihre Position zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Der Programmentwurf für die Bundestagswahl sage nichts darüber aus, ob die Grünen eine Fortsetzung des Afghanistan-Einsatzes wollten oder nicht, sagte Ströbele am Freitagabend auf dem Grünen-Parteitag in Berlin. »Die Wähler wollen auch darauf eine Antwort«, betonte der 78-Jährige, der nicht wieder zur Wahl antritt. Die Grünen seien von Anfang an eine Partei des Friedens gewesen, sagte Ströbele, der an die harten Auseinandersetzungen über Kriegseinsätze auf dem Balkan während der rot-grünen Bundesregierung nach 1998 erinnerte. Ströbele, der zum linken Flügel der Grünen zählt, hatte diese Einsätze immer abgelehnt.

Im Entwurf für das Wahlprogramm, über das der Parteitag diskutiert, heißt es zu Militäreinsätzen lediglich: »Jeder Kampfeinsatz erfordert ein Parlamentsmandat und darf nur im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit stattfinden.« Zum Thema Frieden und Menschenrechte spricht am Samstagnachmittag der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin.

Derweil beschlossen die Delegierten, mit der Forderung nach einem Ende der industriellen Massentierhaltung in den kommenden 20 Jahren in die Wahl zu ziehen. Sie billigten am Freitagabend eine Passage für das Programm zur Bundestagswahl, in dem ein »Pakt für faire Tierhaltung« vorgeschlagen wird. Dieser solle es ermöglichen, dass sich eine artgerechte Tierhaltung auch wirtschaftlich rechnet. »Man kann schon mit wenigen Cents beim Fleischpreis dafür sorgen, dass Tiere weniger leiden und Verbraucher besseres Fleisch auf den Tisch bekommen«, heißt es im Programm weiter. »Artenkiller« wie das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat sollen nach dem Willen der Grünen verboten werden.

In dem Programmentwurf plädieren die Grünen zudem für das Ende neuer Verbrennungsmotoren im Jahr 2030 sowie einen unumkehrbaren Ausstieg aus der Kohle. Beide Punkte werden erst am Samstag beraten. Der Entwurf der Parteiführung sieht eine Abschaltung aller Kohlekraftwerke in den kommenden 20 Jahren vor. Kritiker in der Partei werben für einen Ausstieg bis 2025. Darüber werden die Delegierten am Samstag kontrovers abstimmen. Endgültig beschlossen werden soll das gesamte Programm am Sonntag.

Zum Auftakt des Parteitages hatte Spitzenkandidat Cem Özdemir dafür geworben, dass sich die Grünen alle Regierungsoptionen offenhalten. Trotz derzeit schlechter Umfragewerte von sieben bis acht Prozent wollen die Grünen bei der Wahl am 24. September drittstärkste Partei werden und streben eine Regierungsbeteiligung an. Außer mit der AfD wolle man keine Koalition ausschließen, sagte Özdemir. »Wenn alle alles ausschließen, bleibt am Ende nur die große Koalition.« Mit Blick auf die sich anbahnende Jamaika-Koalition mit Union und FDP in Schleswig-Holstein sagte der Parteichef, es mache eben schon den Unterschied, ob die Grünen mitregieren oder nicht. Seine Parteifreunde rief Özdemir zudem zur Geschlossenheit auf. »Manchmal haben wir die Neigung, anderen Grünen eine Niederlage zuzufügen.« Damit müsse Schluss sein.

Als eines der wichtigsten Ziele nannte es Özdemir, den Klimaschutz wieder voranzubringen. Wer angesichts der Klimaerwärmung seine Hoffnung alleine auf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) setze, »sollte sich lieber eine Schwimmweste zulegen«, Merkels Klimaschutz sei rein taktisch und handwerklich schlecht gemacht. Özdemir bekräftigte zudem das Ziel der Grünen, den Verbrennungsmotor künftig durch Elektromobilität auszutauschen. »Wir machen ernst mit dem Klimaschutz und der Energiewende.« In dem Wahlprogramm, über das die Delegierten in Berlin beraten, tritt die Partei dafür ein, die Herstellung von Benzin- und Dieselautos 2030 zu beenden. Das Programm soll bis Sonntag beraten und dann beschlossen werden. Agenturen/nd

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