Soziale Bewegungen im Degrowth-Fieber

In einem jüngst erschienenen Band diskutieren Bewegungsaktive über das Veränderungspotenzial bewusster wirtschaftlicher Schrumpfung

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.

Für linke Bewegungsstrukturen, alternatives Wirtschaften und solidarische Ökonomien spielen die Debatten um Degrowth (»wirtschaftliche Schrumpfung«) oder Postwachstum seit einigen Jahren eine immer größere Rolle. Wobei berücksichtigt werden sollte, dass wachstumskritische Diskussionen auch bis weit in liberale und konservative Kreise hineinreichen und keineswegs nur Gegenstand linker Politikdiskurse sind.

Die Bedeutung der Themenpalette für die außerparlamentarische Linke zeigte auch die Degrowth-Konferenz 2014 in Leipzig (die bisher am besten besuchte Konferenz dieser Art), zu der mehr als 3000 politische Aktivisten und Wissenschaftler anreisten, um miteinander über mögliche Zukunftsszenarien einer alternativen, nicht primär auf Wachstum basierenden Ökonomie zu diskutieren. Die große Bandbreite dieser Konferenz belegt nun der gerade erschienene gut 400 Seiten umfassende Band »Degrowth in Bewegungn(en)«, der mehr als 30 Texte unterschiedlicher Aktivisten und Wissenschaftler rund um das Thema versammelt. Zusätzlich zu der als Multimediapublikation angelegten Buchveröffentlichung gibt es auf der Seite www.degrowth.info einen Blog, zahlreiche Filme und Interviews, die Projekte, aber auch Akteure aus den unterschiedlichen Spek-tren vorstellen und einzelne Themen weitergehend vertiefen.

»Degrowth ist eine Perspektive und eine im Entstehen begriffene soziale Bewegung, die in den vergangenen Jahren eine Vielzahl an Alternativdiskussionen und Projekten rund um alternatives Wirtschaften zusammengebracht hat«, schreiben die Herausgeber in ihrem Vorwort. In den 34 Texten kommen neben dem ehemaligen ecuadorianischen Wirtschaftsminister Alberto Acosta, der über das Prinzip des »Buen Vivir« (Gutes Leben) schreibt, es publizieren Vertreter von Attac, ein Aktivist der spanischen Indignados, das feministische Netzwerk »Care Revolution« zu Wort. Es publizieren hier auch Vertreter von Gemeinschaftsgärten, der Grundeinkommensbewegung, von Ökodörfern ebenso wie Recht auf Stadt-Aktivisten. Degrowth fungiert im Kontext der Konferenz und des daraus entstandenen Vernetzungszusammenhangs als Klammer sehr unterschiedlich ausgerichteter Bewegungen.

Inhaltlich wird das am deutlich- sten an der in den Texten immer wieder gestellten Frage, ob der Imperativ des Wachstums oder gleich der Kapitalismus an sich überwunden werden sollte und mit welchen Strategien die jeweiligen Ziele zu erreichen seien. So erteilen die Vertreter der Ökodörfer jeder radikalen Praxis eine deutliche Absage. Sie setzen vielmehr darauf, alternative Vorstellungen des Zusammenlebens als reformanschlussfähiges Programm in den gesellschaftlichen Mainstream einzuspeisen. Andere wiederum wie der Vertreter der spanischen Empörten oder Recht-auf- Stadt-Aktivisten formulieren klar antikapitalistische Positionen.

»Wirtschaftswachstum ist ein notwendiges Prinzip der kapitalistischen Wirtschaftsweise und nicht das Grundproblem«, schreiben etwa Aktivistinnen des Berliner trouble everyday collective, die sich klar von jeglichem grünen reformorientierten Kapitalismusprojekt abgrenzen. »Wir wünschen uns, dass sich die Degrowth-Bewegung nicht als Politikberatung für das bestehende System empfiehlt und dass sie sich nicht durch die Arbeit in Stiftungen und Parteien vernutzen lässt«, so das queerfeministisch-linksradikale Kollektiv weiter.

Ob Degrowth letztlich wirklich kritisches Potenzial freisetzen und eine Transformationsperspektive für das in dem Band so oft angesprochene gute Leben werden kann, muss sich erst noch erweisen. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Gedanke von Tadzio Müller, Referent für Klimagerechtigkeit und Energiedemokratie bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der in seinem Text schreibt, dass sich sein Großvater nicht vom Thema Klimagerechtigkeit überzeugen lässt, wohingegen er für das Argument, dass ständiges Wachstum dauerhaft gar nicht funktionieren kann, durchaus offen ist. »Auf dieser Basis können wir dann eine kapitalismuskritische Konversation starten«, so Müller.

Ob sich dieser Effekt tatsächlich auf eine gesamtgesellschaftliche Ebene ausdehnen lässt, muss sich erst noch zeigen. Für den, der sich mit diesem Thema auseinandersetzen will, bietet der Band jedenfalls einen panoramaartigen Einblick in eine spannende Debatte, die nicht nur in die aktuelle außerparlamentarische linke Bewegungsmatrix eingewoben ist. Sie wird uns in den nächsten Jahren immer wieder beschäftigen.

Konzeptwerk Neue Ökonomie e.V., DFG-Kolleg Postwachstumsgesellschaften (Hrsg.): Degrowth in Bewegung(en), Oekom-Verlag, 416 S., 22,95 €

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