Festival des politischen Liedes

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 2 Min.

Letzten Mittwoch, am Tag der Féte de la Musique, die auf der großen weiten Welt gefeiert wurde, fand in Friedrichshain auch das Festival des politischen Liedes statt. Es erklangen Lieder wie »Das antifaschistische Stück«, »Das philosophische Lied« und »So war sie, die DDR«. Wenn ich mich richtig erinnere, nach all dem Bier, das wir aufgrund der Freilassung von Che Schnee tranken (s. »Gläsers Globus« vom 16.6.). Auf jeden Fall sind das alles Songs von der letzten Turbolover-LP »Festival des politischen Liedes«, die vor drei Jahren erschienen ist. Musikalisch handelt es sich um Oi!-Punk. Schlimm.

Die vermutlich alle vier in den 70ern geborenen Berliner rackerten sich am Frankfurter Tor vor dem Szenezombieladen »Abgedreht« am Potpourri ihrer drei LPs ab. Auch am Start waren Ascaris, The Pokes und andere. Jawoll, direkt am Frankfurter Tor, wo in den Jahrzehnten davor die Sputniks, die verschiedenen Standortmusikkorps vom Ministerium des Innern und Feeling B das lustige Leben feierten. Die alte Tante Féte de la Musique hat ihre besten Jahre schon hinter sich. Denn dass solch tolle Bauchtanztruppen wie Seeed im Mauerpark antraten, war vor dem Millennium gewesen. Damals, als sich Gevatter Tod noch nicht gewagt hatte, in unseren familiären und kumpelhaften Reihen zu wildern.

Immerhin traf man vor dem »Abgedreht« ohne jegliche Verabredung viele Überlebende aus den Lebensumfeldern Arbeit, Sport und Spiel. Wir kennen unsere Bands von den alljährlichen Besuchen und hoffen, dass sie uns nicht mit Experimenten konfrontieren. Von den Künstlern, die am Mittwoch auf den anderen 66 Bühnen Berlins agierten, hatten wir noch nie was gehört. Waren wahrscheinlich alles Element-of-Crime-Coverbands.

Ach, unser Festival des politischen Liedes benötigte eigentlich keine Féte de la Musique rundherum. Turbolover habe ich schon sieben- bis zwölfmal gesehen. Ihre »Festival«-LP überreichten mir zwei Turbo-Herren feierlich zu meinem letzten U50-Geburtstag, damals im ewig-muffigen »Freudenhaus«, wo ich eine Vorübergehende kennenlernte. Die rote Vinylschnitte jedenfalls erschien in 300er-Auflage, ohne Barcode, ohne Firma. Sozusagen Kopierladen de luxe. Auf der Plattenhülle sieht man ein wunderschön gemaltes Gerippe in der Kleidung eines Thälmann-Pioniers. Ich habe alle Turbo-Machwerke im Regal stehen, zwischen den Troopers und den Teens.

Einer meiner Festival-Favoriten heißt »Mir langweilt Oi!«. Ein ironisch-selbstkritisches Lied dieser sympathischen Vertreter der Subkultur. Diese LP hat genügend Potenzial für den Weltmarkt. Doch werktags arbeiten die Musiker als Lehrer oder Briefzusteller, um musikalisch keine Kompromisse eingehen zu müssen. In diesen Kreisen schenken sich die Künstler und Arbeiter ihre Produkte gegenseitig, so kriegen sie den Kapitalismus irgendwann kaputt. Oi!

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