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Ohne Wasser, merkt euch das ...

Das Wassergericht von Valencia ist eine der ältesten Rechtsinstitutionen Europas. Von Sven Rahn

  • Sven Rahn
  • Lesedauer: 5 Min.

Valencia, jeden Donnerstag, 12 Uhr. Vor dem Apostelportal der Kathedrale sitzen acht schwarz gekleidete Richter im Halbkreis auf lederbezogenen Holzstühlen. Ein Gerichtsdiener ruft die Bewässerungsbezirke von Valencia auf und fragt in die Menge der Schaulustigen am Rande der Plaza de la Virgen, ob jemand eine Klage vorzubringen hat. Bei dem öffentlichen Verfahren geht es um Streitigkeiten der Bauern in Wasserangelegenheiten.

Wer zu viel vom kostbaren Nass entnimmt, die Bewässerungsreihenfolge nicht einhält, die Kanäle als Abfallhalde missbraucht oder gar giftige Abwässer einleitet, der wird vor das Tribunal zitiert. Dabei sind die Urteile der acht Laienrichter, Bauern aus den betroffenen Bezirken Cuart, Benacher y Faytanar, Tormos, Mislata, Mestalla, Fabara, Rascaña und Robella, unanfechtbar - seit mehr als 1000 Jahren.

»Die Zeremonie dauert selten länger als zwei, drei Minuten«, weiß Carmen Balleter. Die meisten Zuschauer seien Touristen oder Städter, denn unter den wenigen Bauern, die in den Gemüsegärten am Rande Valencias noch Landwirtschaft betreiben, sind Streitfälle selten. »Dennoch ist das Wassergericht keine Touristenattraktion, sondern ein lebendiger Teil unserer Kultur«, so die 55-Jährige.

Das »Tribunal de las Aguas« ist eine der ältesten noch existierenden Rechtsinstitutionen Europas. Ihre Ursprünge gehen zurück auf das 10. Jahrhundert, als das Kalifat von Córdoba zwei Drittel der Iberischen Halbinsel besetzt hielt. Maurische Baumeister zapften um 900 den mächtigen Fluss Turia an und machten aus der Ebene im Südosten Spaniens einen blühenden Garten mit bis zu vier Ernten im Jahr. Mit ihrem weitverzweigten Kanalsystem lenkten sie das kostbare Nass auf die Felder. Und mit dem Tribunal die Streitigkeiten der Bauern in zivilisierte Bahnen. Beides funktioniert noch heute.

Auch Carmen erhält Wasser aus dem alten muslimischen Kanal für ihren 3000 Quadratmeter großen Garten in Borbotó, fünf Kilometer nördlich von Valencia gelegen: Im Westen bei Paterna gibt es einige Mühlen und Staubecken, die das Wasser auf acht Hauptarme leiten - die Wasserbezirke. »Von dort wird es immer weiter verteilt, bis es schließlich bei uns ankommt«, erläutert ihr Mann Fernando.

Auf einer Kreidetafel an einem zentralen Punkt des Bezirks trägt sich jeder Bauer ein - und erhält in der Reihenfolge die ihm zustehende Menge Wasser. Wer dran ist, darf die Schieber zu seinem Feld öffnen und den Acker fluten. Pflanzen, die besonders viel Wasser brauchen, stehen etwas tiefer, Früchte mit weniger Wasserbedarf wachsen auf einem leicht erhöhten Beet.

Sind Tomaten, Auberginen, Artischocken und Bohnen bewässert, schließt der Bauer den Zulauf an der Seite und öffnet ihn am Ende: Das Wasser fließt weiter zum nächsten Feld, wo es wiederum gestaut und auf die durstige Erde geflutet wird.

Das Bewässerungssystem der Mauren und die demokratische Institution des Wassergerichts hat ein Jahrtausend allen Gefahren getrotzt - und drohte erst durch die Immobilienhaie zugrunde zu gehen. Um 2006 kauften immer mehr Investoren das Ackerland rund um die Mittelmeermetropole auf - um es in Bauland zu verwandeln. Die Stadt fraß sich tiefer und tiefer in die Huertas hinein - auch weil die Bauern von den Dumpingpreisen, die sie für ihre Produkte erhielten, nicht leben konnten.

»Wir pflanzen Beton«, war die Devise vieler, die die alte Kultur der Huertas - und damit auch der Wasserversorgung - zu vernichten drohte. »Zum Glück kam die Finanzkrise dazwischen«, erinnert sich Fernando. Die Immobilienblase in Spanien platzte, viel Bauprojekte blieben unvollendet oder wurden nicht mehr in Angriff genommen, manch Bauland gar wieder in Acker umgewandelt.

»Die Krise hat die Huertas vor dem Aus bewahrt, aber nicht gerettet«, sorgt sich Carmen. Die alte Kultur des Gartenanbaus drohe noch immer auszusterben: Es fehle Interesse, Wissen und vor allem Geld, so die Bäuerin. Vor jeder Wahl versprächen die Kandidaten Unterstützung, aber die Politiker hier seien wie überall: »Sie reden viel und tun wenig.«

Carmen, Fernando und zwei weitere Mitstreiter haben deshalb zur Selbsthilfe gegriffen und aus dem Land, das die 55-Jährige von ihren Eltern geerbt hat, einen Mitmachgarten für Städter und Touristen gemacht: Descubre L’Horta, »Entdecke die Gärten«, heißt das Projekt, bei dem Interessierte, die traditionelle, bäuerliche Kultur Valencias kennenlernen können.

»Wir führen unsere Gäste durch die Felder, erklären, wie das Bewässerungssystem funktioniert und zeigen ihnen die für die Region typischen Früchte«, erläutert die Bäuerin das Konzept. Zum Beispiel die Erdmandel. Das aus Afrika stammende Gras wird rund um Valencia angebaut, in großen Hallen getrocknet und zu einem erfrischenden Getränk verarbeitet, dem Horchata. Oder Tabak, der hier ausschließlich von Hand zu kleinen Zigarren gerollt wird, den Caliqueños.

Schulklassen, Firmen, Vereine oder Touristengruppen nutzen das Angebot und ernten im Garten je nach Saison Tomaten und Bohnen, Artischocken und Zwiebeln, Wassermelonen und Mandarinen. Vor allem bei den Jugendlichen, die Obst und Gemüse fast nur noch verpackt aus dem Supermarkt kennen, wolle man ein Bewusstsein für die Nahrungsmittel wecken, erklärt Carmen.

Und damit der Lehrstoff nicht zu trocken gerät, lädt das Paar ein, die geernteten Früchte gemeinsam zu verarbeiten. »Besonders beliebt sind die Paella-Kochkurse«, sagt Carmen. Jeder packt an, während Fernando als Chefkoch Tipps für das Gelingen einer echten Paella Valenciana gibt. Auf die Wassermenge komme es an, damit der Reis am Pfannenboden eine Kruste bekommt, aber nicht anbrennt. Und die Sorte ist wichtig: Fernando schwört auf Bomba, ein besonders saugstarkes Korn, das zudem bissfest bleibt.

Nicht nur wie man eine Paella zubereitet, zeigt der 50-Jährige seinen Gästen. Er bereitet auch Horchata mit den Teilnehmern zu, rollt mit ihnen Zigarren oder organisiert im Winter eine Calcotada. Dabei werden Calcots - Frühlingszwiebeln - auf offenem Feuer gegrillt, bis sie schwarz werden. Anschließend zieht man die Haut ab, tunkt den Strunk in eine rote Soße aus Nüssen, Tomaten und Paprika und verschlingt ihn mit einem Happs.

Diese Tradition, räumt Carmen ein, stamme zwar nicht aus Valencia, sondern aus dem 270 Kilometer entfernten Valls, lasse sich aber als Winterevent gut in die Descubre L’Horta integrieren. Damit kann das Quartett das ganze Jahr Aktivitäten anbieten und so zum Überleben der Gartenkultur Valencias und des alten maurischen Bewässerungssystems beitragen - für die nächsten 1000 Jahre.

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