Kugeln damals, Kugeln heute

Im Kino: Der Dokumentarfilm »Dil Leyla« von Aslı Özarslan

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Zu Beginn von »Dil Leyla« ist Leyla Dimret Bürgermeisterin. Die jüngste Bürgermeisterin der Türkei, ein Jahr zuvor mit 81 Prozent gewählt - in einer der konservativsten Regionen des Landes. Eine junge Frau von 26 Jahren, in Deutschland aufgewachsen, die nun dem Ort vorsteht, in dem sie geboren wurde. Die Parks anlegen lässt und Schlachthäuser, baufällige Märkte besucht und Änderungen verspricht, »sobald die Lage sich gebessert hat«. Die den Eindruck macht, als ob sie versucht, den Wahlversprechen Taten folgen zu lassen. Dass Leyla Dimret fotogen ist und winkfreudig, dass sie autoritär sein kann, wo sie ohne autoritäres Gebaren nicht vorwärts käme, ist Teil des Erfolgs. Dass sie aus Deutschland kam auch, wie sie selbst sagt - ein gewisser Ruf von Effizienz scheint dem Land immer noch anzuhaften. Gewisse Probleme mit einem Berliner Flughafen haben sich bis Cizre, einer mittelgroßen Stadt im türkisch-irakisch-syrischen Grenzgebiet, offenbar noch nicht herumgesprochen.

Leyla Dimrets Vater war einst vom türkischen Militär getötet worden. Ihre Mutter schickte die Tochter zu Verwandten nach Deutschland. Zwanzig Jahre später bewegte das Heimweh sie, sich auf in die alte Heimat zu machen. Sie fühlt sich sofort wieder zu Hause - Tante, Cousin und Cousine in Bremen wundern sich am Telefon, wie schnell Leyla in den heimischen Singsang zurückfand. Sie zeigen Home Videos aus den Tagen ihrer Ankunft in Deutschland: ein Kind, in kurdischer Tracht tanzend. Heute trägt Leyla Karohemden und die Haare unbedeckt. Weiße Spitze um’s Gesicht ist sonst die Norm, jedenfalls für die älteren Frauen. Auch Leylas Mutter trägt so ein Kopftuch. Sie möchte eigentlich nur weg aus Cizre. Nichts Gutes habe sie hier erlebt, sagt sie, aber nun habe Leyla ja Verpflichtungen.

Filmemacherin Aslı Özarslan, in Deutschland geboren, wurde 2014 durch einen Zeitungsartikel auf Leyla Dimret aufmerksam. Sie fuhr nach Cizre und hatte einen Filmstoff gefunden: schon der ganz normale Verwaltungsalltag dieser jungen Kurdin in einem geopolitisch dauerangespannten Kontext gab genug Stoff dafür her. Wie dramatisch alles dann noch werden sollte, wird man 2014 allenfalls geahnt haben. In die Drehzeit von 2015 bis 2016 fielen erneute Konflikte mit dem türkischen Militär. Wahlen, die ihrer Partei HDP zu einer Stimme im Parlament verholfen hätten, wenn das Ergebnis denn umgesetzt worden wäre. Und schließlich die Amtsenthebung der Bürgermeisterin und ihr Untertauchen.

Özarslan filmte in einer Gegend, in der vom Herrenfriseur gesagt wird, er sei zum Kämpfen in die Berge verschwunden. Und wo es selbst in friedlichen Zeiten zum Freizeitangebot gehört, auf dem Bürgersteig mit scharfer Munition auf bunte Luftballons zu schießen - die Passanten treten nur mal kurz beiseite. Später, alle sind im Wahlkampf und machen sich über die Zehn-Prozent-Hürde Gedanken, die einen Einzug ins Parlament noch verhindern könnte, sprengen Bomben ein HDP-Treffen. Vom fassungslosen Schweigen vor den Fernsehern im Parteibüro schneidet die Regisseurin auf einen brennenden Stoppelacker. Verbrannte Erde scheint Ziel dieser Politik zu sein. Leyla Dimret fürchtet um ihr Leben. Oder jedenfalls: ihre Mutter tut es. Die alten Traumata sitzen tief.

Drei Monate nach der Wahl ist das Ergebnis immer noch nicht umgesetzt, Unruhen brechen aus. Der Notstand wird ausgerufen, es gibt Ausgangssperren, Scharfschützen lauern auf Dächern. Das Filmteam verlässt das Land. Die Bürgermeisterin entkommt einer Verhaftung nur durch Fernbleiben aus dem Rathaus. Türkische Medien hängen ihr an, sie habe einen Bürgerkrieg ausgerufen. Sie wird ihres Amtes enthoben - ihre tatsächliche Äußerung klang eher wie eine mahnende Warnung davor, es zum Bürgerkrieg nicht erst kommen zu lassen.

Die Verwandtschaft in Deutschland befindet, es sei daheim doch alles wieder wie in den 1990er Jahren. Nichts habe sich geändert, die Jahre der Entspannung seien verschenkt und vorüber. Kugeln damals, Kugeln heute - die Einschlaglöcher in der Fassade des Hauses sprechen eine deutliche Sprache. Leyla sieht einem Prozess entgegen, macht aber trotzdem weiter: ohne Amt nun, aber nicht ohne Wählerauftrag.

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