Die Plansche ist tot, sie lebe hoch!

Wo inmitten Plattenbauten Kinder im kühlen Nass tobten, herrscht heute Wilder Westen

  • Jana Klein
  • Lesedauer: 3 Min.

Ich werde zum brachliegenden Wasserspielplatz in die Weydemeyerstraße geschickt. An der alten Kinderplansche nördlich der Karl-Marx-Allee, die zwischen üppigem Grün mitten im Wohnblock liegt, klärt ein Schild freundlich über die hier geltenden vier Regeln auf: keine Hunde ohne Leine, keine Fahrräder, nicht rauchen und nicht saufen. Abseits der Bauzäune, die die durchwucherten Beckenplatten eingrenzen, sitzen auf den Bänken zur Mittagszeit zwei Anwohner um die 50. Die beiden schaffen es spielend leicht, ohne jegliche Anstrengung, alle vier Gesetze zu brechen. Jedem nach seinen Bedürfnissen, jedem nach seinen Fähigkeiten: Sie, lässig, mit umherstreunendem Hund, er, eine Bank weiter, Mountainbike abgestellt, Sterni Ex, Kippe im Mundwinkel.

Mein Auftrag ist es, eine Anekdote aufzustöbern. Gibt es hier wohl noch alte Genossen, die man höflich nach einem Schmankerl für die Zeitung fragen könnte? Ich umschreite das Gelände. Auf eine Tischtennisplatte hat jemand unzählige Male »275 STPO« geschrieben. Ich google die Strafprozessordnung mit Hilfe meines Handys. Bestimmt ein Hinweis auf ein Instrument der Klassenjustiz. Nein, nur eine Vorschrift für die Frist und Form eines Urteils. Alte Menschen finde ich hier auch nicht. Im Gras liegt ein zerschelltes Sternburg. Zurück zu den Bänken.

Delinquent Nummer zwei produziert gerade Pfandflasche Nummer zwei. Ich setze mich zu ihm, mit Sicherheitsabstand, auf die dritte Bank. Der Geschichtsunterricht zeigt hier seine Wirkung: Das hineingeritzte Kreuz, das ich neben meinem Oberschenkel erblicke, trägt seine Haken korrekt in Uhrzeigerrichtung. Das habe ich andernorts schon anders gesehen. Ich notiere das in mein Notizbuch. Abgang des fleißigen Biertrinkers. Eine alte Frau kommt vorbei. Vorbildlich angeleinte Töle. Ob sie die Plansche noch aus ihren Kindertagen kenne, möchte ich von ihr wissen. Barsch giftet sie mich an: »Hier war noch nie ’ne Plansche jewesen!«

Aber, ähm, die Faktenlage, also, sehen Sie, direkt neben uns, will ich noch ansetzen, da beginnt sie schon den nächsten Streit: »Ey, dit is hier’n öffentlicher Park, der Hund jehört anne Leine!«, schnauzt sie Delinquentin Nummer eins an. »Die macht dit jedes Mal!«, und stürmt auf sie zu. »Is ja’n Ding«, entgegnet die Frau mit ihrem unbeleinten Hund unbeeindruckt. »Trink ma wat!« - »Beleidije mich nich, sons nehm ick dich am Arsch!«, bellt die Alte. Die Gesetzesbrecherin schlendert davon. »Is die Olle bekloppt, die hat doch’n Riss inne Schüssel«, muss sie sich noch an den Kopf werfen lassen. Im Hintergrund radelt auf einmal wieder Delinquent Nummer zwei über den Spielplatz, Kippe im Mundwinkel, lässig im Handgelenk hält er Sterni Nummer drei. Irgendwie ist es hier, trotz des ganzen Grüns, nicht so schön.

Doch Rettung naht: Der Bezirk hat vor Kurzem Geld aus dem Denkmalschutzprogramm der Karl-Marx-Allee zugesprochen bekommen, um die Plansche wieder herzurichten. Dann können die Kinder wieder heiße Sommertage im Nass verbringen. Zuvor gab es bereits Pläne, aber keine Mittel. Jetzt also der Wiederaufbau. Das zu verlegende Plattenmodell, Design »1969«, muss der Bezirk nachbauen lassen. Der Plan sieht vor: Baubeginn im August, Anbaden 2018.

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