Berlin: Mehr Polizei als New York City

Das »Justice Collective« hat die Haushaltspläne der vergangenen 15 Jahre studiert – Berlin investiert stetig mehr in die Polizei

Das Kottbusser Tor ist einer von sieben sogenannten kriminalitätsbelasteten Orten in Berlin, an denen die Polizei besondere Befugnisse hat.
Das Kottbusser Tor ist einer von sieben sogenannten kriminalitätsbelasteten Orten in Berlin, an denen die Polizei besondere Befugnisse hat.

Der schwarz-rote Senat weist immer wieder auf den Zwang hin, sparen zu müssen. Dabei wäre der richtige Begriff »haushalten«. Denn die Regierung hat nicht weniger Geld. Der Doppelhaushalt 2026/2027 ist sogar der größte in der Geschichte Berlins. Doch das Geld wird unterschiedlich zwischen den Ressorts aufgeteilt. Gekürzt hat Schwarz-Rot zuletzt vor allem bei Verkehr und Bildung sowie Soziales und Kultur. An einer Stelle sparten die Regierungen in den vergangenen 15 Jahren jedoch nie: bei der Polizei. Das hat die Gruppe Justice Collective recherchiert.

Auf 65 Seiten fasst das Justice Collective ihre Recherche zusammen. Grundlage dazu liefern an erster Stelle die Haushaltspläne zwischen den Jahren 2010 und 2027. »Die Ausgaben für die Polizei Berlin sind in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten stetig gestiegen – von knapp 1,2 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf über 2 Milliarden Euro im Jahr 2024«, teilt die Gruppe in ihrem online einsehbaren Bericht mit. In der Hauptstadt kämen pro Kopf inzwischen mehr Polizeibeamte auf Einwohner als in New York City. Genauer gesagt sind es in Berlin 723 Polizeibeamte auf 100 000 Einwohner*innen – in der US-amerikanischen Metropole sind es nur 556 Polizeikräfte, so die Gruppe.

»Um diese Dimension einzuordnen: Der Polizeietat ist höher als der
gesamte Etat für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und
Antidiskriminierung, und mehr als doppelt so groß wie der Etat für Kultur und
Gesellschaftlichen Zusammenhalt«, so das Jutice Collective. Die Motivation der Gruppe ist es, »die gesellschaftliche Abhängigkeit von der Polizei zu überwinden«, sagt Lara Möller im Gespräch mit »nd«. Sie ist Mitautorin des Berichts, mit dem die Gruppe eine »Ressource« schaffen wolle, »die zeigt, dass es eigentlich Geld gibt, das man statt für diese Institution in die soziale Infrastruktur der Stadt stecken könnte«.

Innere Aufrüstung – Berlin: Mehr Polizei als New York City

Wo landet das Geld, dass der Senat in die Polizei steckt? Ein Großteil beim Personal: »Allein 2024 belaufen sich diese Kosten auf 1,57 Milliarden Euro«, so die Gruppe. Zwischen 2013 und 2023 habe die Berliner Polizei ihre Belegschaft um mehr als 15 Prozent vergrößert. Vergangenes Jahr gab es rund 26 500 Vollzeitstellen in der Belegschaft bei der Berliner Polizei. Zwischen 2010 und 2024 stiegen die Personalkosten um rund 73 Prozent. Ein Grund dafür sei neben der Personalaufstockung, dass Beschäftige im öffentlichen Dienst regelmäßig Gehaltserhöhungen bekommen.

Während Polizeibeamte in Berlin in den vergangenen 15 Jahren immer mehr wurden, wurde an anderen Stellen im öffentlichen Dienst deutlich Personal eingespart. Allen voran in der Kinder- und Jugendhilfe. Dort wurden zwischen 2013 und 2023 mehr als die Hälfte der Mitarbeiter*innen eingespart. Gefolgt von denen in sozialen Einrichtungen, der Wohlfahrtspflege und in Krankenhäusern.

Auch die Sachausgaben für die Polizei sind gestiegen. Allein 2024 gab Berlin mehr als 400 Millionen Euro für Material wie beispielsweise Taser, Bodycams und diverse Überwachungstechnologien aus.

Dabei stellt die Gruppe klar: Die Haushaltspläne sind nur bedingt aussagekräftig für die Berliner Polizei. Ein Großteil des Budgets stammt zwar aus dem Landeshaushalt. Doch es gibt auch Mittel aus dem Bund für die Bundespolizei, die beispielsweise an den Berliner Bahnhöfen aktiv ist. Zudem enthalten Haushaltsdokumente nicht immer die Details, die es bräuchte, um die Auswirkungen der Polizeiausgaben tatsächlich zu verstehen. »So können wir beispielsweise anhand dieser Dokumente nicht erkennen, wie viel für bestimmte Polizeipraktiken wie die Kontrollen an sogenannten ›kriminalitätsbelasteten Orten‹ (kbOs) ausgegeben wird, da die Informationen nicht auf dieser Detailebene dargestellt oder nach Aufgabenbereichen organisiert sind«, so das Justice Collective. Um ein besseres Bild zu den Ausgaben zu bekommen, hat die Gruppe gemeinsam mit dem Linke-Abgeordneten Niklas Schrader parlamentarische Anfragen über die Berliner Polizei gestellt.

»Der Polizeietat ist höher als dergesamte Etat für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt undAntidiskriminierung.«

Justice Collective

Für das Justice Collective gehe es auch darum, die Frage nach der Sicherheitspolitik von links zu besetzen, so Möller. »Sicherheit, die auf Abschottung, Repression und Strafe setzt, schützt immer nur wenige. Ein linker Sicherheitsbegriff dagegen stärkt das gute Zusammenleben aller: durch soziale Sicherheit, gerechte Verteilung von Ressourcen, Zugang zu Wohnraum und Gesundheitsversorgung sowie starke nachbarschaftliche Beziehungen, die kollektive Sicherheit und gemeinsame Verantwortung ermöglichen.«

Doch beim Recherchieren ist der Gruppe aufgefallen, dass es gerade unter der rot-rot-grünen Landesregierung einen deutlichen Ausgabenanstieg von rund 35 Prozent für die Polizei gab. »Sowohl Parteien aus der Mitte als auch Die Linke forderten wiederholt zusätzliches Polizeipersonal sowie mehr Ausstattung für die Polizei«, heißt es im Bericht.

»In der Regierungszeit von Rot-Rot-Grün gab es nach langer Zeit der Austerität wieder insgesamt mehr Geld auszugeben«, sagt Niklas Schrader, der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, dazu gegenüber »nd«. Damals hätte es wegen der Kürzungspolitik der vorherigen Jahre auch bei der Polizei Nachholbedarf bei Personal und Grundausstattung gegeben. Die Personalaufstockung hätte man »als Alternative zu mehr Aufrüstung und Befugnissen gesehen«. Heute sei das anders. »Die Polizei wird trotz knapper Haushaltsmittel großzügig bedacht.« Die Partei unterstütze die Forderung zur Umverteilung von Ressourcen hin zur sozialen Infrastruktur. »Und wegen der vielen neuen Law-and-Order-Instrumente von Schwarz-Rot ist da ja auch ziemlich viel zu holen«, so Schrader.

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Und was erhofft sich das Justice Collective von einer linken Regierungsbeteiligung? »Es ist total wichtig, dass sich die Linkspartei zu den Fragen Migration, Polizei und Justiz gegenüber der SPD durchsetzt, die in der Vergangenheit die Innensenator*innen gestellt hat«, so Möller. Es mache zwar einen Unterschied, wer in Berlin mitregiere. »Aber es wäre falsch zu hoffen, dass nur durch einen Wahlerfolg der Linken die Polizei abgebaut wird – dass zeigt das Beispiel Rot-Rot-Grün.«

Das Justice Collective fordert, die Polizeistärke pro Berliner*in unter das Niveau von New York City zu senken. Zudem sollen Mittel für Einsatztechnik und Überwachungssysteme sowie für kriminalitätsbelastete Orte gestrichen werden. Außerdem fordert die Gruppe, die Ticketkontrollen und die Reinigungsstreife im öffentlichen Nahverkehr abzuschaffen.

»Die Umverteilung polizeilicher Mittel ist ein notwendiger Schritt, um strukturelle Gewalt zu reduzieren«, heißt es im Bericht der Gruppe. Doch darüber hinaus brauche es »systemische Veränderungen, die ein verlässliches Bleiberecht garantieren, soziale Absicherung ohne Sanktionen ermöglichen, den Zugang zu Wohnraum demokratisieren und Ressourcen so verteilen, dass Sicherheit auf materieller Versorgung, Fürsorge und Gerechtigkeit beruht statt auf Strafe.«

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