Frente Amplio startet in Chile durch

Neues Linksbündnis mischt in dem südamerikanischen Land die Parteienlandschaft auf

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In Chiles Parteienlandschaft kommt Bewegung: Aus einem kleinem Wahlbündnis, welches nach deutschem Verständnis aus sogenannten Splitterparteien besteht, ist innerhalb des vergangenen halben Jahres eine starke politische Alternative jenseits der seit fast 30 Jahren regierenden Parteien herangewachsen. Der Frente Amplio (Breite Front) werden laut Umfragen reelle Chancen eingeräumt, es in die Stichwahl der diesjährigen Präsidentschaftswahlen zu schaffen. Das Bündnis, das mit der spanischen Podemos oder der griechischen Syriza verglichen wird, hat sich auf Basis der sozialen Kämpfe des vergangenen Jahrzehnts herausgebildet. Die Frente Amplio baut auf den Erfolgen einzelner Parlamentarier auf, die nach den Studierendenprotesten von 2011 ihren Kampf ins Parlament getragen haben.

Die Vorwahlen am 2. Juli für die kommenden Präsidentschaftswahlen im November bestätigten den Aufwind der Frente Amplio. An diesen nahmen nur der rechte Block Chile Vamos (Auf geht’s, Chile) und Frente Amplio teil. Die derzeitige, von Präsidentin Michelle Bachelet geführte Regierungskoalition Nueva Mayoría (Neue Mehrheit) verweigerte sich den Vorwahlen. Der um die Kommunistische Partei erweiterte Zusammenschluss des langjährigen Mitte-Links-Bündnisses Concertación ist mit internen Konflikten und akuten Spaltungsszenarien beschäftigt.

Die internen Wahlen, zu denen die ganze wahlberechtigte Bevölkerung aufgerufen war, fügten der Nueva Mayoría weiteren Schaden zu. Die Oligarchie, repräsentiert durch den ehemaligen Präsidenten Sebastían Piñera, gewann mit gut 800 000 Stimmen und einer Kampagne unter dem Slogan »Es kommen bessere Zeiten« die internen Wahlen im rechten Block. Piñera war bisher der einzige, der den Siegeszug der Concertación nach dem Ende der Pinochet-Diktatur 1990 durchbrechen konnte. Er amtierte für vier Jahre von 2010 bis 2014 als Präsident.

Im neuen linken Block, inspiriert von der Frente Amplio aus Uruguay und dessen Ex-Präsidenten Pepe Mújica, gewann die Journalistin Beatriz Sánchez mit rund 200.000 Stimmen gegen ihren Rivalen Alberto Mayol.

Gleich nach der Wahl wurde eine Umfrage veröffentlicht, in der das erst im vergangenem Jahr gegründete Bündnis um Sánchez den Präsidentschaftskandidaten von Nueva Mayoría, Alejandro Guiller, auf den dritten Platz verwies.

Am Abend nach der Wahl verkündete Beatriz Sánchez: »Heute beginnt eine neue Ära in der politischen Geschichte Chiles. … Ab heute werden wir um die Macht in Chile kämpfen und das meinen wir ernst.« Beatriz Sánchez und die Frente Amplio verkörpern die sozialen Forderungen, die sich in den vergangenen Jahren in Chile herausgebildet haben. Sánchez hat vor, »die erste feministische Regierung Chiles« bilden zu wollen und den Kapitalismus in seine Schranken zu verweisen. Keine Geschäfte mehr mit sozialen Rechten, ein neues Gesundheitssystem, Entprivatisierung der Wasserrechte, mehr Demokratie, ein neues, gerechteres Steuersystem und eine neue Entwicklungspolitik für das Land, gehören zu ihren Vorschläge. Laut Sánchez hat die alte Politik auf mehreren Ebenen versagt: »in der Bildung, bei den Pensionen, der Gestaltung des öffentlichen Verkehrssystems und der Infrastruktur«. Ihre Regierung will keine Expertengruppe sein, sondern »eine, die sich mit den Menschen zusammensetzt und mit der gesamten Bevölkerung die Grundsteine für ein neues Chile setzt«.

Dem neuen Wahlbündnis stehen enorme Aufgaben bevor, wenn es die Wahlen im November gewinnen will. Rodrigo Ruiz, Sprecher der Partei Movimiento Autonomista (Autonomistische Bewegung), welche eine der tragenden Parteien der Frente Amplio ist, dämpft die Erwartungen. In der kommenden Wahl gehe es vor allem darum, »die Koalition aufzubauen und zu festigen«. So soll laut Ruiz »die politische Geografie von der Wurzel her neu geordnet werden, in einem historischem Moment, in dem die Krise der Mitte-Links-Koalition von Bachelet Raum dazu gibt«.

Dem Wahlbündnis fehlt bisher vor allem Unterstützung der armen Bevölkerung, was sich auch dadurch zeigt, dass sie das prozentual beste Ergebnis bei den Auslandswählern in Europa erreichte, wo sie zum Teil genau so viele Stimmen bekam wie das rechte Bündnis.

Auch wenn Ruiz dies zugibt, bekräftigt er, dass die Frente Amplio immer mehr Unterstützung von Basisorganisationen erhält. Dies zeige sich vor allem »in den Gebieten, wo Parteien der Frente Amplio schon länger Präsenz aufweisen«. So bekam die Koalition in der Hafenstadt Valparaiso deutlich mehr Stimmen. In der Stadt regiert seit vergangenem Jahr Jorge Sharp, Mitglied des Movimiento Autonomista.

Laut Ruiz wird der Wahlerfolg der Frente Amplio vor allem davon abhängen, wie weit es geschafft wird, ein Bündnis mit den Schichten der chilenischen Bevölkerung aufzubauen. So soll auch das Band breiter Teile der armen Bevölkerung zu rechten Parteien gebrochen werden. Eine Aufgabe, die die Linke seit mehr als 20 Jahren nicht zu lösen vermochte. Je mehr es die Frente Amplio schafft, die arme Bevölkerung mit ihrer Politik für sich zu gewinnen, desto mehr wird sie sich auch auf Dauer als eine politische Kraft in der chilenischen Politik etablieren.

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