Der unheimliche Koka-Boom

Bolivien, Kolumbien und Peru sind weltweit Spitzenreiter im Anbau

  • Georg Ismar, Sacaba
  • Lesedauer: 4 Min.

Sinforoso Ladesma ist ganz begeistert von seinen Kokablättern, gerade wenn es einen Schlangenbiss gegeben hat. »Du musst sie im Mund kauen und auf die Wunde spucken, schon geht der Schmerz weg.« Der Kokabauer steht mit einem großen Sack am Kokamarkt von Sacaba, der Hauptstadt der tropischen Chapare-Region in Bolivien.

Nach jahrelangem Rückgang hat die Anbaufläche für die Kokapflanze in Südamerika zuletzt um 30 Prozent zugelegt, hat gerade der neue Weltdrogenbericht der UNO festgestellt. Rund 250 Millionen Menschen konsumieren weltweit Drogen - in Europa wird pro Jahr Kokain für 5,7 Milliarden Euro abgesetzt. Wenn die Zeichen nicht trügen, droht eine massive Zunahme der Kokainproduktion.

Was hat das mit Sinforoso Ladesma in Sacaba zu tun? Er sagt, er baue nur für den legalen Konsum an - das seit Jahrhunderten praktizierte Kauen von Kokablättern, um Ermüdungen bei der Feldarbeit oder in den Minen vorzubeugen. Aber wo seine Blätter hingehen, weiß er nicht.

Es ist ein abgesperrter Bereich, hier hat die DIGCOIN das Sagen. Das ist eine Polizeieinheit, die die Kokaproduktion kontrollieren soll, nachdem Präsident Evo Morales die US-Antidrogeneinheit DEA aus dem Land geworfen hat. Morales war selbst lange Kokabauer im Chapare. Bis zu 2000 Säcke werden hier täglich gewogen, den Bauern wird das Geld ausbezahlt, aktuell 1200 Bolivianos (150 Euro) je Sack mit 50 Libras (23 Kilo). Mehr als das Zehnfache dessen, was Bauern im Hochland bekommen, die das wegen der Nährstoffe und Mineralien als »Superfood« gefeierte Inkakorn Quinoa anbauen. Dies zeigt, warum es so lukrativ ist, Koka anzubauen, im Jahr sind drei Ernten möglich.

DIGCOIN-Polizisten beteuern, die Koka werde von hier auf die Kokamärkte der Region verteilt - für den legalen Konsum. Der Leitspruch der Morales-Regierung lautet: »La hoja de Coca no es droga«; »das Kokablatt ist keine Droge«. Produkte wie Kokatee und -schokolade will Morales zum Exportschlager machen. Das Problem: Die Koka aus dem Chapare ist so scharf, sprich alkaloidhaltig, dass sie im Mund brennt und kaum zum Kauen geeignet ist - anders als die aus den Yungas, dem traditionellen Anbaugebiet, etwas höher gelegen. Daher hilft die Chapare-Koka sogar beim Lindern von Wunden und Bissen.

Im Chapare wird seit den 1980er-Jahren Koka angepflanzt, als tausende Minenarbeiter arbeitslos wurden und hierhin in die Tropen umzogen. Nach einer UNO-Schätzung gehen 94 Prozent der Chapare-Koka in die Kokainproduktion - gerade wegen des sehr hohen Alkaloidanteils.

Nun wird aber mit einem von Morales unterzeichneten Gesetz die legale Anbaufläche von 12 000 auf fast 22 000 Hektar ausgeweitet, davon sollen 14 300 Hektar auf die Yungas und 7300 auf das Chapare entfallen. Hinzu kommen tausende Hektar illegale Flächen. Wenn aber die Chapare-Koka kaum zum Konsum taugt, könnte dies die Kokainproduktion deutlich erhöhen - es entsteht aus einer Vermischung von Chemikalien und Kokablättern.

Frage an Kokabauer Ladesma, wie man verhindern will, dass die Produktion von Drogen steigt. Antwort: »Ich weiß es nicht.« Nach Analyse der US-Behörden hat sich die Kokainproduktion Boliviens in den vergangenen zehn Jahren schon ohne das Gesetz auf 255 Tonnen verdoppelt. Es geht oft über Mittelamerika in die USA oder nach Europa. In den USA liegt der Straßenverkaufspreis bei 80 Dollar pro Gramm - diese Preise regen Kokabauern nicht gerade zum Anbau von Ananas und Orangen an.

Morales streitet ab, dass es Verbindungen zum Drogenhandel gebe, die Ausweitung des Anbaus auch im Chapare sei wichtig, weil die Blätter billiger als die Yungas-Kokablätter seien und somit auch den Ärmsten das Kauen ermöglicht werde. Warum das fragwürdig ist: Für den legalen Konsum gilt eine Anbaufläche von maximal 14 000 Hektar im Land als völlig ausreichend.

Weltweit dominieren drei Länder den Koka-Anbau: Kolumbien, Peru und Bolivien. Ausgerechnet das Ende des Guerillakampfes der FARC scheint in Kolumbien einen neuen Koka-Boom anzuheizen, es gibt Berichte, wie andere Banden in bisher von der FARC kontrollierten Gebieten versuchen, den Anbau unter ihre Kontrolle zu bringen. Allein von 2014 bis 2015 war der Anbau laut offiziellen Angaben von 69 000 auf 96 000 Hektar explodiert. Das US-Office of National Drug Control Policy geht sogar davon aus, dass heute auf bis zu 188 000 Hektar Koka angebaut wird und die Jahresproduktion 710 Tonnen Kokain betragen könnte - Zahlen fast wie zu Zeiten von Drogenbaron Pablo Escobar. In den 1980er und 90er-Jahren versuchten die USA es mit dem milliardenschweren Krieg gegen die Drogen mit einem Besprühen der Felder (»Plan Colombia«), die EU förderte teure Programme für den alternativen Anbau von Bananen und Zitrusfrüchten. Geholfen hat es wenig, der Anbau bleibt lukrativ - durch den Verlust des US-Einflusses in Südamerika sank zudem der Verfolgungsdruck.

Einer, der alle Tricks und Routen kennt, ist Jhon Jairo Velásquez alias »Popeye«, der im Auftrag von Escobar rund 250 Menschen getötet hat und nach 23 Jahren Gefängnis 2018 bei den Wahlen für den Senat in Kolumbien kandidieren will. Seine Antwort auf die Frage, wie der Krieg gegen Kokainhändler zu gewinnen wäre, ist knapp und doch interessant: »Man muss es legalisieren.« dpa/nd

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