Wohnungsdeal gegen Schuldenberg

Neubrandenburger Mieter besorgt über Pläne der Stadt

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Für die 70 Quadratmeter große Dreiraumwohnung in einem 1974 gebauten Zehngeschosser im Osten der Stadt möchte Neubrandenburgs Wohnungsgesellschaft (Neuwoges) 414 Euro Monatsmiete haben, einschließlich Betriebskosten und Heizung. Wer in der Viertorestadt im Osten Mecklenburg-Vorpommerns lieber nahe dem Reitbahnsee leben möchte, findet unter den Angeboten des kommunalen Unternehmens ein 60-Quadratmeter-Domizil für 378 Euro »warm«. Bezahlbarer Wohnraum. Ihn zu sichern, ist erklärtes Ziel der Stadt.

Ziel der 65 000-Einwohner- Kommune ist es aber auch, innerhalb von zehn Jahren ihren 91 Millionen Euro hohen Schuldenberg abzubauen. Mit einer 27-Millionen-Finanzspritze will das Land dabei helfen, Bedingung: Neubrandenburg legt ein Konzept zur Konsolidierung des Haushalts vor. Das ist geschehen, die Stadtvertretung hat das Papier verabschiedet. Doch sie hat damit viele Mieter verunsichert, denn: Von den gut 12 500 Wohnungen der Neuwoges, die der Stadt zu 100 Prozent gehört, sollen bis zu 618 verkauft werden.

Welche Häuser betroffen sind, war von offizieller Seite bislang nicht zu erfahren. Eine interne Analyse der Verantwortlichen besagt nach Recherchen des »Nordkurier«: Die Wohnungen liegen in der Oststadt, dem Stadtteil Datzeberg, im Reitbahnviertel, in der Ihlenfelder Vorstadt und am Monckeshof. Von den Wohnungen wolle die Stadt 118 der Genossenschaft »Neuwoba« und 300 »Investoren allgemein« anbieten. Als »Reserve« sollen die übrigen 200 Wohnungen nur zum Verkauf kommen, falls die angepeilte 6,7 Millionen Euro Erlös zuvor noch nicht erreicht worden sind.

Anlaufen sollte der Verkauf laut Konzept der Stadt ursprünglich 2018, abgeschlossen sein dann 2019. Inzwischen aber ist zu hören: Voraussichtlich schon im zweiten Halbjahr 2017 kommen die Wohnungen auf den Markt. So könnte Neuwoges eventuellen Zinserhöhungen zuvorkommen, durch die potenzielle Käufer belastet würden. Eine Entwicklung, die im Endeffekt wohl geringere Erlöse zur Folge hätte.

Werden alle 618 Wohnungen veräußert und werden dadurch 6,7 Millionen Euro erzielt - bedeutet dies, dass eine jede Wohnung im Durchschnitt nur 11 000 Euro kostet? Reizvoller Preis für eine Eigentumswohnung! So einfach dürfe man da nicht rechnen, sagt Stadtsprecher André Hesse-Witt. Zum einen würden die Wohnungen nach Lage, Ausstattung und Alter unterschiedlich bewertet, zum anderen stünden sie nicht einzeln zum Verkauf, zu erwerben seien nur ganze Häuser.

Mieter also, die vielleicht »ihre« Wohnung erwerben möchten, gucken bei der großen Verkaufsaktion in die Röhre. Zudem machen sie sich Sorgen und fragen: Werden künftige Vermieter die Gebäude pflegen, notwendige Reparaturen ausführen lassen? Die Neuwoges hatte allein 2015 rund neun Millionen Euro für die Instandhaltung ihrer Immobilien ausgegeben. Der Mieterbund teilt die Sorgen der Bewohner und mahnt: Der Verkauf kommunaler Wohnungen sei der erste Schritt von einem Sozialgut zu einem Spekulationsobjekt. Höhere Rendite nur auf zwei Wegen möglich: Mieterhöhungen oder das Einsparen bei Verwaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen.

Trotz aller Mahnungen aber wird die Stadtvertretung wohl am Donnerstag den Verkauf mehrheitlich beschließen. Gegenstimmen sind nur von den LINKEN zu erwarten. Deren Meinung zum Abstoßen der städtischen Wohnungen: »sozialpolitisch falsch«.

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